Pädagogin Elibol im Standard-Interview. Sie will nicht von vorne fotografiert werden, da sie fürchtet, angepöbelt zu werden: "Es gibt ein fremdenfeindliches Klima in Österreich."

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Standard: Warum treffen wir uns für ein Wien-Gespräch im Café Etap im 16. Bezirk? Hat das für Sie etwas Wienerisches?

Elibol: Als ich das erste Mal nach Österreich gekommen bin, habe ich in der Neulerchenfelder Straße gewohnt. Es hat etwas Nostalgisches, weil es das Erste war, wo ich in Wien ankam.

Würden Sie den 16. Bezirk als Migrantenbezirk bezeichnen?

Elibol: Ja, das kann man schon sagen. Hier wohnen Türken, Türkinnen, aber auch Menschen aus Ex-Jugoslawien, und die Kulinarik ist in diesem Bezirk besonders gut.

Katholische Privatschulen gelten gemeinhin als konservativ. Wie konservativ ist eine islamische Schule?

Elibol: Das ist schwierig zu erklären. Was soll man unter konservativ verstehen? Unsere Basis ist der Islam, und wir haben einen modernen Anspruch. Das heißt, wir möchten unsere Schüler und Schülerinnen auf die moderne Zeit vorbereiten, auf die Gesellschaft, in der sie leben. Sie sollen die vielen Aspekte der Gesellschaft verstehen können, auch eine gewisse interkulturelle Bildung mitbekommen. Orthodox sind wir nicht.

Sie tragen Kopftuch. Warum tragen Sie es?

Elibol: Ich trage es aus religiösen, persönlichen, spirituellen Gründen. Nicht als Symbol, wenngleich ich weiß, dass mittlerweile eine gewisse Symbolik hineininterpretiert wird. Ich höre manchmaI von muslimischen Frauen: "Ich bin sehr stolz auf mein Kopftuch." Das würde ich z. B. nicht sagen.

Gibt es heute mehr Kopftuchträgerinnen als noch vor 20 Jahren?

Elibol: Nein. Ich glaube, dass früher mehr Frauen Kopftuch getragen haben, aber dass es jetzt andere Frauen tun. Heute tragen es hoch gebildete Frauen. Das ist ein Zeichen, dass es immer mehr Frauen gibt, die sich zu ihrer Religion bekennen und das Recht auf Bildung in Anspruch genommen haben.

Wie wollen Sie gewährleisten, dass das Kopftuch auf Freiwilligkeit beruht? Es gibt Selbsthilfegruppen für Musliminnen, die beklagen, dass sie von Vätern oder Brüdern unter Druck gesetzt werden.

Elibol: Ich habe beides erlebt. Wir haben zwei Fälle gehabt, wo Mädchen ihr Kopftuch abgelegt und Probleme bekommen haben. Dann gibt es wieder andere, die das Kopftuch gerne tragen würden, wo die Eltern sagen: "Das wollen wir nicht, weil du mit Kopftuch nicht sehr viele Chancen hast." Da muss man schauen, dass Vertrauenspersonen da sind. Wir vermitteln den Schülerinnen und Schülern, dass es keinen Zwang in der Religion gibt. Und dass auch Eltern Kinder nicht zwingen dürfen. Weil Religiosität etwas Spirituelles ist und eigene Entscheidung erfordert.


Sie haben im Vorjahr den Frauenpreis der Stadt Wien bekommen, weil Sie Mädchen stärken. Wie machen Sie das?

Elibol: Wir möchten, dass die Mädchen zur Mündigkeit ausgebildet werden. Die Schule hat ja auch eine erzieherische Mission. Für uns ist die Emanzipation der Frauen von großer Bedeutung. Wir arbeiten sehr stark am Selbstwertgefühl der Mädchen. Wir versuchen sie sehr zu stärken, indem wir sie für verschiedene Berufseinrichtungen motivieren. Wir geben ihnen viel Raum. Zum Beispiel machen wir Radiosendungen, wo sich die Mädchen auch zeigen und im Vordergrund stehen können.

Gibt es ein Defizit im Selbstwert der Mädchen?

Elibol: Ja, es gibt ein großes Defizit von zu Hause, weil die Mädchen nicht als mündige Personen wahrgenommen werden. Es wird sehr oft über ihre Köpfe hinweg entschieden. Man darf das aber auch nicht pauschalisieren. Ich kenne auch Familien, wo Mütter und Väter wollen, dass ihre Tochter einen Beruf erlernt. Wir machen sehr viel Prävention. Wir laden Leute ein, die Schülerinnen und Schüler aufklären, welche Rechte sie haben. Wo sie sich hinwenden können, wenn von zu Hause Druck kommt - Stichwort Zwangsverheiratung.

Ist das ein wachsendes Problem?

Elibol: Ein wachsendes nicht, aber ein Problem. Man muss Augen und Ohren offenhalten. Dadurch, dass es Verbote und Maßnahmen gegen Zwangsverheiratung gibt, befürchte ich, dass Eltern dann andere Mechanismen entwickeln. Da sind wir sehr auf der Hut, um so etwas in einem ganz frühen Stadium abzufangen. Dass es erst gar nicht so weit kommt, dass Mädchen irgendwo hingebracht und dort verheiratet werden.

Besteht die Gefahr, dass eine Generation von Migranten-Machos heranwächst, die für die Mädchen ein Problem darstellen?

Elibol: Es gibt die Migranten-Machos genauso wie einheimische Machos. Und es gibt die Kluft zwischen aufgeklärten Mädchen und nichtaufgeklärten Burschen. Diese Kluft wächst. Man arbeitet viel mehr mit den Mädchen als mit den Burschen. Das muss ins Gleichgewicht kommen.

Wie verschaffen Sie sich Autorität? Lehrerinnen beklagen, sie würden von muslimischen Schülern, aber auch deren Vätern geringschätzig behandelt.

Elibol: Das habe ich noch nicht gehört. Wir haben einige Eltern, die arabischen Ursprung haben, und sehr viele aus der türkischen Community. Ich weiß, dass in der türkischen Kultur die Lehrerin und der Lehrer sehr hoch geschätzt sind. Wichtig ist, wie man mit Eltern kommuniziert. Man muss ihnen zuhören. Wenn sie das Gefühl bekommen, dass ihre Anliegen ähnlich wie meine sind, dann haben wir eine gewisse Gemeinsamkeit, und auf dieser Basis kann ich arbeiten. Es ist manchmal ein Schockeffekt, wenn Eltern sehen, dass ich in gewissen Dingen nicht ihre Meinung teile.

Zum Beispiel?

Elibol: Dass ich meine, dass man Mädchen und Burschen zuhören muss und dass sie ab einem gewissen Alter mündig sind. Dass sie auch bestimmte Entscheidungen treffen können. Dass Gewalt nicht erlaubt ist gegen Jugendliche. Dass die Religion ganz andere pädagogische Maßnahmen empfiehlt.


Die Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger beklagte kürzlich, dass es ein fremdenfeindliches Klima in Österreich gebe. Wie sehen Sie das?

Elibol: Das gibt es. Denken Sie nur an Plakate der FPÖ. Viele junge Menschen haben mich gefragt: "Wie kann man erlauben, dass so gegen uns gehetzt werden darf?"


Macht dieses Klima junge Muslime empfänglich für radikale Prediger?

Elibol: Das ist schon unsere Befürchtung, weil junge Menschen, die sich zurückgedrängt fühlen, Minderwertigkeitskomplexe bekommen. Da sind wir auch besonders wachsam. Wir betonen immer: Wir sind ein Teil dieser Gesellschaft. Partizipieren ist das Stichwort, nicht, sich zurückzuziehen.

Gibt es in Wien ein Problem mit radikalen Predigern?

Elibol: Ich glaube nicht. Ich habe von keinem Prediger persönlich gehört. Es gibt radikale Gruppierungen und Einzelne, die aber auch vom Staatsschutz beobachtet werden. Die Mehrheit der Muslime fängt damit nichts an.

Jeder fünfte Islamlehrer hat laut einer aktuellen Studie Demokratiedefizite. Stimmt das?

Elibol: Wenn man unter passenden Bedingungen die Studie wiederholt und mehr Lehrer anspricht, bin ich zuversichtlich, dass das Ergebnis viel besser ausfallen würde.

Sie kritisieren die Studie?

Elibol: Ich würde sagen, sie ist ein bisschen unglücklich zustande gekommen. Bei einer Lehrerversammlung wurden die Fragen ausgeteilt. Ich weiß, dass gegen Ende solcher Versammlungen die Lehrer schon ziemlich müde sind und dass sie so bald wie möglich nach Hause kommen wollen. Aber da waren drei Seiten Fragen, die man in Ruhe hätte beantworten müssen. Ich glaube nicht, dass dieser Prozentsatz stimmt. Wenn man alle 400 Lehrer in Österreich abfragt, wäre diese Zahl nie im Leben zustande gekommen.

Gibt es Antisemiten unter Islamlehrern? Ein Lehrer wurde kürzlich wegen des Vorwurfs des Antisemitismus suspendiert.

Elibol: Wer antisemitisch agiert, würde sich in Widerspruch mit dem Islam begeben. Ein Lehrer darf nicht politisch in seinem Unterricht sein. Das heißt nicht, dass er keine politische Einstellung haben darf.


Es ging um einen Boykottaufruf für "jüdische Konzerne".

Elibol: Richtig. Aufhetzen ist ein Grund für eine Suspendierung.

Anas Schakfeh, der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, hat einen Religionslehrer suspendiert, weil der die Glaubensgemeinschaft kritisiert hat. War das richtig?

Elibol: Das obliegt mir nicht, das zu sagen. Was mir nicht gefallen hat, ist, dass dieser Lehrer alle in den gleichen Topf geworfen hat. Er hat die ganze Glaubensgemeinschaft angesprochen, alle Vereine, dass die zu wenig für Integration getan hätten. Das stimmt nicht. (Petra Stuiber, DER STANDARD Printausgabe 9.4.2009)