Bild nicht mehr verfügbar.
Feuerwehrleute inspizieren die Schäden in Onna, wo der Erdstoß am Montag alle Häuser zerstört hat. Unterdessen bebt es weiter, und die Vermisstensuche geht schleppend voran.
Rom/Wien - Eine Geisterstadt: Rathaus, Universität, Regierungsgebäude, Gericht, Spital - alles liegt in L'Aquila in Trümmern. Die Ärzte operieren in Zelten, der Bürgermeister hat sein Büro ins Auto verlegt. Zur Wiedereröffnung eines einzigen Supermarkts bedurfte es behördlichen Drucks. Die in Schutt gelegte Stadt wirkt so desolat wie die Endzeitstimmung ihrer Bürger. "Meine Praxis ist zerstört, mein Haus unbewohnbar, meine Frau im Krankenhaus. Wir sind ruiniert. Es gibt keine Perspektiven mehr", sorgt sich der Arzt Pietro Cantini.
Noch kann kaum etwas getan werden. "Der Wiederaufbau hat offiziell am Mittwoch begonnen, doch die Zivilingenieure können wegen der Nachbeben nicht in die Häuser, um die Schäden zu begutachten", erzählte der derzeit in L'Aquila helfende Rot-Kreuz-Koordinator Valentin Seidler dem STANDARD am Telefon. "Es bebt regelmäßig, und die Leute wissen: So lange es bebt, geht nichts weiter."
Am Donnerstag gab es erneut heftige Erdstöße, bei denen mehrere Menschen starben. Während eines Nachbebens war gerade Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano in L'Aquila zu Besuch. Die Altstadt musste wegen neuerlicher Gebäudeschäden gesperrt werden. Die Zahl der Todesopfer stieg insgesamt auf 287. 500 Personen gelten als vermisst. "Manche Leute waren kurz in ihrem Haus, zum Beispiel zum Duschen oder, um etwas zu holen, als es erneut bebte", sagt Caritas-Mitarbeiterin Judith Sinn dem Standard.
"In L'Aquila steht alles still"
Viele der 28.000 Obdachlosen haben neben ihrem Zuhause auch ihre Arbeit verloren, weil Geschäfte, Cafés und Büros ebenso in Trümmern liegen. "Das große Warten hat begonnen", schildert Sinn. "In L'Aquila steht alles still." Unterdessen überschlagen sich Politiker, Architekten und Soziologen mit Vorschlägen zur Wiedererrichtung der Städte in der Region. Von Onna, einer 400-Einwohner-Gemeinde, ist kein einziges Haus heil geblieben.
Premier Silvio Berlusconi verwirrt die Bewohner der Region fast täglich mit neuen Rezepten. 100 Projekte im Erdbebengebiet sollen von 100 Provinzen Italiens betreut werden. Ein Wettbewerb, in dem sich "die Schlusslichter öffentlichem Gespött preisgeben".
Berlusconis Vorschlag einer Retortenstadt versetzt Städtebauer in Alarmstimmung. "Mit der Errichtung einer ,new town' beraubt man die Altstadt ihrer Faszination", warnt Pier Luigi Cervellati von der Uni Venedig und verweist auf zwei von Beben zerstörte Orte: Gemona im Friaul habe seine Atmosphäre zurückgewonnen, das neu errichtete Gibellina in Sizilien bleibe ein Fremdkörper. Stadtplaner Paolo Bedini sieht im fatalen Erdstoß eine Chance: "Jetzt kann man die Fremdkörper vergangener Jahrzehnte aus dem Stadtbild tilgen."
Die in Zelten hausenden Obdachlosen halten anderes für vordringlich: "Ich fürchte um meinen Arbeitsplatz", gesteht Susanna Marzoli (32). Außerdem nerve das Leben im Zelt: "Wir hoffen, bald in Container umziehen zu können." Bis dahin kann es noch mehrere Wochen dauern. Für Karfreitag war ein landesweiter Trauertag angesetzt, an dem ein staatliches Massenbegräbnis stattfinden soll. (Gerhard Mumelter/Gudrun Springer/red, DER STANDARD - Printausgabe, 10. April 2009)