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Eva Maria Westbroek

Foto: APA/Forster

Die Konturen von Nikolaus Bachlers erster "Erneuerungsspielzeit" nehmen Gestalt an, bieten gut Gemachtes und gut Gemeintes, lassen aber nicht gleichgültig. Hinter dem, was mit den Regiehandschriften von Martin Kusej (Macbeth) und Andreas Kriegenburg (Wozzeck) bislang an frischen Impulsen kam und vom routinierten Christoph Loy (Lucrezia Borgia) nicht ausgebremst wurde, blieb nun aber Barbara Frey zurück. Und das mit Janáceks Jenufa, dieser Geschichte, die sich fast von selbst spielt. Ganz gleich, ob man sie als menschliches Drama aus dem zeitlich fernen böhmischen Landleben oder aus der Nähe exemplarischen, menschlichen Versagens erzählt.

Im Grunde hat Frey weder den Mut zu einer in geschlossener Optik erzählten Geschichte noch den zu einem Diskurs über grundsätzliches Versagen. Zwar liegt in Bettina Walters Bühne Böhmen am Meer, doch ist das böhmische Dorf, in dem die Küsterin das Kind ihrer Ziehtochter umbringt, um deren Heiratschancen zu verbessern, doch nur eine mit Ölfässern verunreinigte Pappfelsenküste. Auch die modernen Windräder und ein Fernseher im angeschnittenen, auf Pfähle gestellten, engen Häuschen der Küsterin verweisen auf Gegenwart. Doch bleibt das genauso gewollt wie die stilisierte Pseudofolklore (Kostüme: Bettina Walter), weil es nur zum hinderlichen Rahmen für eine eher konventionelle und bei den (exzellent singenden) Chören ziemlich unbeholfene Personenregie wird.

Von innen aufleuchten

Da bleiben dann nicht nur die Nebenfiguren blass (selbst wenn sich Helga Dernesch mit der alten Burya abmüht), da bleibt auch das Gestaltungspotenzial einer Deborah Polaski als Küsterin unausgeschöpft. Natürlich gelingen ihr und vor allem Eva Maria Westbroek als Jenufa gerade in der existenziellen Not intensive Momente. Doch das verdanken sie nicht der Regie, sondern Dirigent Kirill Petrenko.

Der Russe führte das Orchester auf einen Ausflug durch die puren Schönheiten dieser Musik; auch wenn er selbst die verwendete Urfassung als "beinharte Musikprosa" bezeichnet. Doch so einschmeichelnd pulsierend, aufgefächert bis in jede Instrumentengruppe, so sicher in den Soli, so fein verwoben oder so schmerzlich berührend in der Verzweiflung ist das alles selten zu hören! Petrenko lässt die Jenufa-Musik gleichsam von innen aufleuchten. So traurig! So schön! Im Grunde bereitete er vom Graben aus den Weg zu den Herzen, zum Ein- und Mitfühlen.

Doch die "Gefahr", dass das tief erschüttert, birgt diese Inszenierung nicht - obwohl besonders Stefan Margita ein stimmlich exzellenter Laca ist und sich auch Joseph Kaiser als Steva überzeugend davon absetzt. Doch Momente wie jener, in dem die Küsterin bei einer Umarmung Jenufas für einen Augenblick die Kontrolle über sich verliert, sind selten. Auch die Gefahr, in die Jenufa gerät, als das tote Kind gefunden wird, oder die Konfrontation der Küsterin mit der Dorfbevölkerung - all das verpufft.

Und weil die Szene ihren Teil zur ganzen Bühnenwahrheit schuldig bleibt, wird auch der Klangzauber, den Petrenko zu entfesseln versteht, infrage gestellt. Der Jubel war gleichwohl ungestört von Einwänden, wusste aber angemessen zu differenzieren! (Joachim Lange aus München / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.4.2009)