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Erstaunlich, aber wahr: Auch die Tortung ist der allgemeinen Wirtschaftskrise zum Opfer gefallen. Noch keine fünf Jahre ist es her, da war der Tortenwurf ein gängiges Feature im politischen Alltag. Allwöchentlich bekam ein Mächtiger dieser Welt sein Fett bzw. seine Schwarzwälder Kirsch ab: Nicolas Sarkozy, Jean-Luc Godard, Bernard-Henry Lévy, Bill Gates und Hilmar "Stoppt die Überfremdung" Kabas. Unvergessen dessen Tortung auf dem Viktor-Adler-Markt im Jahr 2000: Just, als sich der FPÖ-Mann vor laufenden ORF-Kameras anschickte, über Ausländerpolitik zu extemporieren, da stopfte ihm ein Unbekannter mit einer tückisch von hinten verabreichten Extracremigen den Mund. So ging das in jener Zeit dahin. Ja, es ließe sich wahrscheinlich sogar die Behauptung vertreten, dass die handgeschleuderte Topfen-Obers damals so etwas war wie der Inbegriff augenzwinkernder Sozialkritik und nicht ganz ernst gemeinten gesellschaftlichen Protests.
Freilich: Tortenwerfen muss man sich leisten können, und 25 oder 30 Euro für eine ofenfrische Malakoff sind in Krisenzeiten wie diesen kein Pappenstiel. Daher der Niedergang der Tortung. Selberbacken ist zeitaufwändig und nicht jedermanns Sache, und billigere Süßspeisen wie Gugelhupf oder Apfelstrudel konnten sich als Wurfobjekte nie so recht durchsetzen. Auch der Schuhwurf ist in Mitteleuropa niemals wirklich heimisch geworden und beschränkt sich - fragen Sie George W. Bush - im Wesentlichen auf den arabischen Raum.
Bleibt also das Ei als einzig ernstzunehmende Alternative. In der Tat scheint der politisch motivierte Eierwurf in diesen Tagen eine Renaissance zu erleben. Erst vor gut einer Woche wurde Linkspartei-Chef Oscar Lafontaine auf dem Frankfurter Römer mit einem Eierhagel eingedeckt, der ihn dazu zwang, seine Rede unter einem Schirm zu beenden. Ökonomisch ist der Eierwurf, selbst mit Eiern aus Bodenhaltung oder Freilandeiern, auf jeden Fall billiger als die Torte.
Auch sollte man die Wirkung des gemeinen Hühnereis nicht unterschätzen: Das Besudelungspotenzial von Dotterschlieren, die über Brillen und Krawatten her-abrinnen, ist erheblich. Freilich: An die opulente Symbolik und die politische Schmierkraft einer unvermutet applizierten Cremetorte kommt auch das fetteste Ei nicht heran. Dass die Krise wahrhaftig vorbei ist, werden wir wohl erst dann wissen, wenn die nächste Malakoff geflogen kommt. (Christoph Winder, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 11./12.04.2009)