Die Produktion unserer Kleidung wird zum Großteil in Billiglohnländer ausgelagert: Die Arbeitskräfte kosten wenig und die Herstellungskosten werden niedrig gehalten. Für die ArbeiterInnen - zu 90 Prozent weiblich - bedeutet das eine kontinuierliche Verletzung ihrer Arbeits- und Menschenrechte. Gewerkschaften haben wenig Einfluss.

Foto: Oneworld/Florian Bauernfeind

Wenn man ein Kleidungsstück kauft, dass in Entwicklungsländern hergestellt worden ist, ist es blutiges Gewand. Wenn man es nicht kauft, dreht man den Reishahn für die Menschen in diesen Ländern noch mehr zu, sagt Kalpona Akter. Wege aus diesem Dilemma versucht sie westlichen KonsumentInnen und ModemacherInnen mit einer von ihr mitbegründeten NGO wie eines aktuellen EU-Projekt aufzuzeigen.

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Dieses Projekt nennt sich "Fashioning an Ethical Industry" und wird in Österreich von der Südwind Agentur unter dem Namen "Mein Design. Meine Verantwortung." umgesetzt. In diesem Rahmen werden die miserablen Arbeitsbedingungen in der globalen Bekleidungsindustrie thematisiert und LehrerInnen wie SchülerInnen der österreichischen Modeschulen über entwicklungspolitische und ökologische Aspekte der Modebranche informiert und sensibilisiert.

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In Bangladesch gibt es allein 4740 Fabriken für die Bekleidungsindustrie. Zweieinhalb Millionen Menschen arbeiten dort. Davon sind 90 Prozent Frauen. Kalpona Akter war eine von ihnen. Bereits mit zwölf Jahren. Als ihr Vater durch eine Erkrankung als Familienernährer weggefallen ist, hatte sie keine andere Wahl. Ebenso wie ihre Mutter, die nur wenige Monate später ebenfalls krank wurde. Akters zehnjähriger Bruder musste einspringen. "Es war kein einfacher Weg", erinnert sich Akter im Gespräch mit dieStandard.at.

Kein Wissen über Arbeitsrechte

Denn damals, Ende der Achziger, waren die Arbeitsbedingungen ganz schlecht, schlechter als jetzt. Trotzdem in den letzten zwei Jahrzehnten eine verstärkte Auslagerung der Produktion westlicher Firmen nach Bangladesch festzustellen ist: Den ArbeiterInnen geht es besser. Was nicht bedeutet: Gut. Zumindest aber wissen viele mittlerweile, dass sie Rechte haben.

Dem war früher nicht so. Als der Fabriksbesitzer, bei dem Akter arbeitete, die Gehälter seiner Beschäftigten gekürzt hatte, legten zwanzig Mitarbeiter ihre Arbeit nieder. Sie wurden ohne Angabe von Gründen entlassen. Diese Männer begannen in Folge, sich über Wege aus ihrer Lage zu informieren und landeten beim "Solidarity Center". Dort erfuhren sie erstmals, dass es ein Arbeitsrecht gibt, das sie schützt. Dass sie für ihre Rechte eintreten können. Dort wurde ihnen auch die Unterstützung bei einer Klage gegen den Fabriksbesitzer angeboten.

Existenzbedrohendes Engagement

Diese ehemaligen Kollegen haben Akter darauf gebracht, sich ebenso zu informieren. Das tat sie und noch mehr: Sie setzte weitere KollegInnen über ihr Wissen in Kenntnis. "Ich hatte keine Idee von Gewerkschaften oder Organisierung von ArbeiterInnen", erinnert sie sich an die Anfänge ihrer Politisierung. "Dann aber lernte ich VertreterInnen der Gewerkschaft kennen und verschrieb mich der Organisierung von ArbeiterInnen. In meiner Fabrik machen wir uns für unsere Rechte stark." Das blieb auch der Fabriksleitung nicht verborgen: Akter wurde bedroht, nicht nur am Arbeitsplatz. Zu Hause, auf der Straße. Man wollte tunlichst verhindern, dass die ArbeiterInnen begreifen, dass es ihnen zusteht, ihre Rechte einzufordern. Und dass sie sich in diesem Prozess letztlich auch zusammenschließen.

Akter ließ sich aber nicht einschüchtern. Also versuchte man es mit Bestechung. Als auch das nicht funktionierte, wurde sie gekündigt. Das war der Anstoss für Akter, eine eigene Gewerkschaft gründen zu wollen. Die gab es damals, 1995, noch nicht. Sie stellte einen Antrag, aber die Beamten erwiesen sich als nicht so unbestechlich wie die couragierte Frau: Ihr Antrag wurde abgelehnt. Doch auch das entmutigte Kalpona Akter nicht: Sie reichte Klage ein, gegen den Fabriksbesitzer und die verantwortlichen Regierungsstellen, bei einem Gericht in Bangladesch wie auch bei der ILO (The International Labour Organization). Das erforderte Mut. Denn ein derartiges Engagement kann in Bangladesch existenzbedrohend sein: "Ich wurde deswegen auch eingesperrt. Aber ich machte weiter."

Von der Unruhestifterin zur Arbeitsrechtsaktivistin

Akter war nun chancenlos, eine Arbeitsstelle zu finden. Sie stand auf einer schwarzen Liste. Die Fabriksbesitzer hatten eine gute Kommunikationsstruktur untereinander aufgebaut – das, was sie ihren ArbeiterInnen verwehrten. Man kannte Akter also als Unruhestifterin: "Die verursacht Probleme." Beim Solidaritätszentrum aber gab man Akter eine Chance: Man richtete damals einen Dachverband für die beginnende Gewerkschaftbewegung in der Bekleidungsindustrie ein, und sie wollte man als Mitarbeiterin. Akter blieb bis 1999, und seit 2000 ist sie die Koordinatorin des "Bangladesh Center for Workers Solidarity" (BCWS), eine NGO, die sie mitbegründet hat und die Gewerkschaften unterstützt wie Vernetzungsarbeit leistet.

Heute ist sie Arbeitsrechtsaktivistin und unter anderem im Rahmen des EU-Projektes "Fashioning an Ethical Industry" in Europa unterwegs gewesen. In Großbritannien, den Niederlanden, Polen und Österreich gab sie einen Überblick über die Geschichte der Bekleidungsindustrie in Bangladesch und über die dortigen Arbeitsbedingungen. Zum Beispiel, dass die westlichen Unternehmen in Bangladesch keine eigene Fabriken betreiben. Dass die Näherinnen Bekleidung für unterschiedliche Markenfirmen fertigen, wobei es Unterschiede bei den Auftraggebern gibt. Nike gilt als besserer Arbeitsgeber als Adidas/Reebock oder Walmart. Oder dass Frauen keine Diskriminerung erfahren aufgrund ihres Geschlechts. Die Diskriminierung trifft Menschen, die sich auf die Beine stellen und ihre Rechte einfordern.

Sensibilisierungsarbeit

Mit dem EU-Projekt wollen Akter und Südwind, das "Fashioning an Ethical Industry" in Österreich als "Mein Design. Meine Verantwortung." koordiniert, einerseits die ModemacherInnen selbst für entwicklungspolitische und ökologische Aspekte der Modebranche sensibilisieren, damit diese später in ihren Positionen menschenrechtlich vertretbare Entscheidungen treffen; dass sie im Hinterkopf haben, dass die Menschen in den Herstellerländern mitbetroffen sind von dem, was sie festlegen.

Boykott keine Lösung

Andererseits will man die KonsumentInnen ansprechen: Sie sollen begreifen, dass sie die Markenfirmen zur Verantwortung ziehen können und sollen. Man will ein Pflichtgefühl evozieren, weg vom verantwortungslosen Konsum. Andererseits sei der Boykott von Kleidung, die aus Billiglohnländern kommt, schlicht "keine Lösung", betont Akter. Boykott würde ein Land wie Bangladesch, das so abhängig ist von der Bekleidungsindustrie, in den Ruin treiben: "Wenn man ein Kleidungsstück kauft, dass in Entwicklungsländern hergestellt worden ist, ist es blutiges Gewand. Wenn man es nicht kauft, dreht man den Reishahn für die Menschen in diesen Ländern noch mehr zu."

Gewissen zeigen

Viel eher sollte man sich vergewissern, woher das kommt, was man trägt und wieviel des Geldes, das man für ein Kleidungsstück ausgibt, den Produzentinnen zukommt – durch die schriftliche Formulierung dieses Anliegens. "Es wird nichts nützen, wenn das einzelne Personen machen, aber wenn es viele machen, zeigt es Wirkung. Es zeigt den Markenfirmen, dass es die KundInnen interessiert, dass sie Verantwortungsbewusstsein haben, das sie bei den Firmen auch orten wollen", sagt Akter. Das sei der Druck, den KonsumentInnen ausüben könnten und sollten. Die meisten Unternehmen bieten mittlerweile Feedbackmöglichkeiten auf ihren Webseiten an – die Anfragen schriftlich zu formulieren und (B)CC an die Clean Clothes-Kampagne zu schicken, sei ratsam, sagt Akter.

Zusammenhang

Wie erfolgreich dieses Engagement sein kann, hängt letztlich am Zusammenspiel zwischen den KonsumentInnen im Westen und den arbeitsrechtlichen Aktivitäten der Menschen in den Produktionsländern: Empowerment durch Information muss groß geschrieben werden. Auf beiden Seiten. Denn die hängen zusammen. (bto/dieStandard.at/14.4.2009)