Gemeinsame Sprache gibt es keine mehr - kulinarisch aber bilden die einstigen Kronländer der Doppelmonarchie zumindest teilweise noch einen Kulturraum.

Foto: Der Standard/M. Cremer

Eine Spurensuche zwischen Kren und Kremsnita - Von Severin Corti 

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Wien - Es kann ja wohl kein Zufall sein, dass die kulinarischen Einflüsse der einstigen Kronländer des Hauses Habsburg sich in Restösterreich am eindringlichsten in den Produkten der fleischverarbeitenden Industrie niederschlagen. Ob Krakauer, Beskiden oder Krainer, ob Salami (Ungarische wie Mailänder), Kabanossi oder Klobasse, ob Debreziner, Budapester, Schlesische, Bosna oder Polnische: Wenn es um die Wurst geht, sind uns auch die entferntesten Winkel des früheren Reiches alles andere als wurscht. Anders gesagt: In ein krachfrisches Kaisersemmerl geklemmt und womöglich mit einem Znaimer Gurkerl vollendet, lassen wir uns das Erbe der Habsburger alleweil schmecken.

So sehr der gemeine Österreicher darauf bedacht ist, sich tunlichst als ganz und gar esteuropäisch und nicht einmal im Ansatz slawisch oder gar balkanisch geprägt zu präsentieren (wobei: das Mediterrane lassen wir uns gern andichten), so sehr verrät ihn das, was er am Liebsten isst und man gemeinhin die Wiener Küche nennt, als durch und durch zentral- bis südosteuropäisch geformten Menschenschlag. Insofern reicht es, die Speisekarten der Wirtshäuser durchzusehen: Im Falle Österreichs lassen sich daraus klar wie in Kaffeesud auch der Ursprung und die Qualität der politischen Kultur ablesen.

Von (slowenischen) Mohnflesserln mit Prager Schinken oder (böhmischer) Powidl zum Frühstückskaffee, über kleines (ungarisches) Gulasch oder (bosnische) Bohnensuppe zum Gabelfrühstück, hin zu Spargel mit (polnischen) Butterbröseln oder Hendl mit (venezianischem) Risipisi zum Mittagessen, von (slowakischem) Liptauer-Stangerl oder (slowenischem) Nussstrudel zur Jause, über Karpfen serbisch oder Schweinsbraten mit Knödel (mährisch) bis zu (ungarischen) Topfenpalatschinken oder (böhmischen) Mohnnudeln zum Abschluss: Wer mutmaßlich urtypisch österreichisch genießt, der verinnerlicht in Wahrheit meist Spezialitäten, die fest in den einstigen Kronländern der Monarchie verwurzelt sind.

Bittere Ironie 

Wobei es schon eine besonders bittere Ironie der Geschichte ist, dass man in den Gegenden, aus denen all diese Köstlichkeiten herkommen, von Galizien bis Schlesien, vom Böhmerwald bis in die ungarische Puszta und die Schluchten Transsylvaniens, heute ziemliche Probleme haben wird, sie auch in guter Qualität vorgesetzt zu bekommen. Der Kommunismus hat auch hier ganze Arbeit geleistet und jahrhundertealte Traditionen wohl unwiederbringlich ausgelöscht: Heute orientieren sich die besseren Restaurants von Prag, Budapest oder Krakau an Trends, die in London, Paris, New York vorgegeben werden - was die Großmütter noch an Weltklasseküche zu fabrizieren wussten, scheint weitgehend vergangen.

Eine gewichtige Ausnahme bilden die touristisch und wohl auch kulturell bevorteilten (weil nicht bloß doppelmonarchisch, sondern auch venezianisch geprägten) Küstenregionen der Adria, von Dalmatien über Istrien bis Slowenien: Da war das Wissen um die kulturelle Kraft der Kulinarik nie ganz vergessen, das werden Gulás, Caiserflajs (Selchkarree, kein Bauchfleisch wie im Österreichischen) und Sunka (Schinken), allerhand Krofi (Krapfen), Kremsnite (Cremeschnitten) und Cuguluf (Gugelhupf), ja selbst Kaisersmarrn und, natürlich, Strudel (Strudel) verdrückt, als ob die Karawankengrenze nur in der Welt according to Kärnten eine Rolle spielte.

Geradezu rührend ist freilich die Hingabe, mit der die von jeher zwischen Ost und West, Berg und Meer oszillierende Stadt Triest das kakanische Küchenerbe hochhält. In der einst wichtigsten Hafenstadt der Monarchie gelten die eben erwähnten Mehlspeisen ganz selbstverständlich zum Repertoire der auch offiziell triestinisch "Konditorei" genannten Traditionsbetriebe wie "La Bonboniera", "Pirona", "Pensi" oder "Tommaseo". Kaffeehäuser wie das "Caffé degli Specchi", das "Tergesteo", das "Mozart" oder das "San Marco" würden dem Nimbus Wiens als eigentliche Heimat dieser Kultur endlich Gewicht verleihen. Dasselbe gilt auch für die nur angeblich wienerische Siedefleisch-Kultur, wie sie in den unzähligen Buffets der Stadt gepflogen wird: Mit einer Selbstverständlichkeit, die sich nur über Jahrhunderte so eingespielt haben kann, dampfen in den Suppenkesseln fett fleischliche Versuchungen, die auf Verlangen herausgefischt, auf eingelassenen Marmorplatten zurechtgesäbelt, mit einem Schöpfer "Crauti" versehen und mit Stürmen von Krenflocken bedeckt werden, dass es einen nur so schüttelt vor austriakischem Vergnügen und Lebenskraft. Dass der herausragendste dieser Lust-Orte auch noch "da Pepi" heißt - wen sollte das wundern ... (Der Standard, Printausgabe 14.04.2009)