Man muss sich in den Kopf des Chefs hineinversetzen, wenn man mehr Gehalt will, meint Martin Wehrle. Er spricht jeden Tag mit Menschen, die in Gehaltsverhandlungen stehen und seinen Rat suchen. Als Gehaltscoach kennt er die Probleme auf dem Weg zu mehr Geld. Überlegungen wie "Ich bin schon zehn Jahre dabei und bin jetzt endlich mal dran", "die Spritpreise sind gestiegen" oder "der Kollege neben mir verdient auch mehr" sind keine richtigen Argumente. Es komme vielmehr darauf an, sich in ein - verdientermaßen - gutes Licht zu rücken und den eigenen Wert für die Firma deutlich zu machen. Viele Feinde hat sich Wehrle - wie er selber sagt - schon damit gemacht, dass er sich ganz klar für die Offenlegung von Gehältern ausspricht. Die Fragen stellte Marietta Türk.
derStandard.at: Beobachten Sie Trends, wo die größten Schwierigkeiten beim Verhandeln liegen?
Wehrle: Die größten Schwierigkeiten spielen sich immer im eigenen Kopf ab. Die Leute denken zu sehr aus der eigenen Perspektive heraus. Sie fragen sich, aus welchen Gründen sollte der Chef mir eine Gehaltserhöhung geben? Sie denken aber nicht darüber nach, welche Vorteile sie selbst für die Firma bieten. Der Chef muss verstehen, was das Unternehmen von einer Gehaltserhöhung hat. Das kleine Kunststück besteht darin: ich muss mich in den Kopf meines Chefs hineinversetzen. Wenn ich diese Argumentation gut hinbekomme, bekomme ich auch mehr Geld.
derStandard.at: Wie bereitet man sich auf das Gespräch am besten vor?
Wehrle: Erstens Argumente für eine Gehaltserhöhung sammeln. Was waren meine Spitzenleistungen in den letzten sechs bis zwölf Monaten? Welche Vorteile habe ich der Firma gebracht? Diese Spitzenargumente, die Highlights meiner Leistung sollte ich schriftlich festhalten. Mit diesem Papier habe ich einerseits etwas, an dem ich mich festhalten kann, damit ich nichts vergesse und andererseits habe ich etwas, das ich dem Chef mitgeben kann. Wenn dieser sich noch einmal mit seinem Vorgesetzten beraten muss, hat er etwas in der Hand, das dokumentiert, dass ich gute Leistung gebracht habe.
derStandard.at: Sie haben gesagt, dass sich vieles im Kopf abspielt. Ist man sich selbst die größte Hürde?
Wehrle: Wenn Menschen an eine Gehaltsverhandlung denken, sehen sie sich geistig oft schon scheitern. Sie stellen sich vor wie der Chef sein Gesicht verzieht, die Hände hoch reißt und sagt „Nein, nur über meine Leiche". Wenn ich solche Bilder vor Augen habe, passiert genau das, was ich mir vorstelle. Ich signalisiere, dass ich nicht an den Erfolg glaube.
derStandard.at: Wie kann ich dem vorbeugen?
Wehrle: Die Verhandlung mit einem Freund oder einem Coach durchspielen, dem anderen sagen, welche Gegenargumente man erwartet und darauf reagieren. Man stellt dann fest, dass man gar nicht in der Erde versinkt, wenn man mehr Geld fordert. Man kann argumentieren, wenn der Chef nein sagt. Sammelt man positive Erfahrungen beim Üben, steigert das die Chancen ganz enorm.
derStandard.at: Verhandeln Männer und Frauen anders oder ist das nur Stoff für Buchautoren?
Wehrle: Frauen neigen dazu, dass sie Gehaltsforderungen sehr gerne in Form einer Bitte formulieren oder in Form des Konjunktivs. "Es wäre schön, wenn ich mehr Gehalt bekommen könnte...." Für den Chef ist das so offensichtlich ein Versuchsballon, dass er den gerne zersticht und die Luft raus lässt. Denn eine Bitte kann man ja auch ablehnen. Eine Gehaltsforderung ist aber keine Bitte, sondern ein berechtigtes Anliegen, das ich auch sprachlich entsprechend formulieren muss.
derStandard.at: Wie macht man das?
Wehrle: Die Forderung soll bestimmt klingen und ich muss aufzeigen, dass ich wild entschlossen bin, mit einer Erhöhung aus der Verhandlung heraus zu gehen. Die Ernsthaftigkeit ist also sehr wichtig. Ein weiterer Punkt: Wenn der Chef nein sagt, denken viele, es ist gescheitert, das ist aber falsch, weil die Verhandlung dann erst anfängt. Der Chef spielt den Verteidiger des Gehaltsetats, dem ich Paroli bieten muss. Ich muss mich auf dieses Verhandlungsspiel einlassen. Meist trifft man sich dann irgendwo in der Mitte.
derStandard.at: Gilt das auch für die Höhe der Forderung?
Wehrle: Viele fordern genau das, was sie haben möchten, weil sie fair sein wollen. Dann darf man sich aber nicht wundern, wenn der Chef einen um 100 Euro runterhandelt. Es ist tatsächlich so, dass sich der Chef auch darüber definiert, ob er es schafft, diese Forderung nach unten zu drücken. 250 Euro fühlen sich wie ein Erfolg an, wenn er den Betrag von 400 Euro hinunter gehandelt hat. Also damit rechnen und höher ansetzen.
derStandard.at: Wie geht man nun mit einem Nein um?
Wehrle: Erst einmal in diesem Gespräch hart bleiben. Wenn der Chef sagt, das geht im Moment nicht, die Firma hat derzeit nicht so viel Geld. Dann sollte man argumentieren, gerade weil es der Firma nicht so gut geht, ist sie auf Leistungsträger angewiesen. Ich habe das und das gemacht und es wäre klug, gerade in mich zu investieren. Die Firma bekommt ja durch meine Leistung einen erheblichen Mehrwert zurück. Das heißt, ich gehe darauf ein, was der Chef sagt und versuche das Blatt zu meinem Vorteil zu wenden.
derStandard.at: Das heißt das Argument der Krise für sich nutzen.
Wehrle: Schon, weil wenn ich der Firma jetzt Einsparungen bringe, oder zusätzliche Kunden, dann wiegt das auch doppelt. Ich vergleiche das mit einem Schiff, das in einen Sturm gerät: die besten Matrosen würde man doch nicht von Bord werfen, sondern sie das Schiff aus dem Sturm hinaus steuern lassen in sichere Gewässer.
derStandard.at: Wie argumentiert jemand, der nicht im Management tätig ist oder mit Kunden zu tun hat?
Wehrle: Das ist schwieriger, weil Leistung da nicht so leicht zu messen ist. Man kann schwerer greifen, was man am Ende des Tages geleistet hat. Hier muss man andere Strategien entwickeln und mit Phantasie arbeiten. Man kann den Wert des Unternehmens ja auch anders steigern, durch Kreativität oder dadurch, dass die Öffentlichkeit auf das Unternehmen aufmerksam geworden ist usw.
derStandard.at: Man liest oft die abstrusesten Tipps zu Gehaltsverhandlungen - vor allem was die Körpersprache betriff. Man soll dem Chef immer in die Augen schauen usw. Ist da etwas Wahres dran?
Wehrle: Das sind Tipps von Menschen, die ihre Bücher damit füllen. Es stimmt zwar, man braucht eine offene, souveräne Körpersprache - nur, es ist falsch die Körpersprache isoliert zu betrachten. Wenn Sie gut vorbereitet sind und sich einigermaßen wohl fühlen, werden Sie auch eine gute Körpersprache haben. Und wenn Sie schlecht vorbereitet sind, rettet Sie die Körpersprache allein auch nicht.
derStandard.at: Manager können ja relativ leicht ihren Marktwert einschätzen - wie machen das kleine Angestellte?
Wehrle: Persönliche Kontakte nutzen wie zum Beispiel Ex-Studienkollegen. Der zweite Weg: schauen, ob es einen Tarif für den Bereich gibt, das ist allerdings ein Richtwert nach unten. Ein Tarif ist immer dafür gemacht, um schwache Arbeitnehmer zu schützen. Der dritte Weg: im Internet in Datenbanken recherchieren, schauen, was Menschen in der gleichen Funktion verdienen.
derStandard.at: Wie oft kann man verhandeln?
Wehrle: Der Richtwert liegt bei alle anderthalb bis zwei Jahre. Die Höhe der Forderung hängt von der Position ab. Aber generell gilt: alles, was unter fünf Prozent ist, ist eher ein Inflationsausgleich als eine Gehaltserhöhung. Bei fünf Prozent fangen die Verhandlungen an, das kann dann bis zehn Prozent hoch gehen und bei besonderen Leistungen auf 15 Prozent.
derStandard.at: Finden Sie, dass Gehälter ab einer gewissen Personenanzahl im Unternehmen offen gelegt werden sollten?
Wehrle: Ich bin generell dafür und habe mir schon viele Feinde damit gemacht. Denn wenn die Gehälter wirklich fair sind, gibt es ja auch nichts zu verbergen. Wenn jemand fragt, warum verdient denn der Kollege ein Drittel mehr als ich, dann muss man ihm antworten können: kannst du auch haben, nur die Vorrausetzung ist, dass du das und das noch erreichst.
Gehälter, die verschwiegen werden, schüren eine Kultur der Geheimniskrämerei.
Ich bin in Firmen auch als Gehaltsberater und da erlebe ich unglaubliche Dinge. Zwei Kollegen machen das gleiche, einer verdient die Hälfte mehr als der andere. Frage ich dann, wie es zu diesem Fehler in der Gehaltsstruktur kommt, sind irrationale Gründe die Antwort, wie „den haben wir abgeworben, der war teuer".
derStandard.at: Wird Treue oft finanziell bestraft?
Wehrle: Die Gehaltskultur ist leider heute so: Untreue wird belohnt: Wenn Sie oft den Arbeitgeber wechseln, werden Sie aber jedes Mal mit einem Zuschlag auf Ihr altes Gehalt empfangen. Wenn Sie lange bleiben, was man eigentlich belohnen sollte - wegen des Wissens, weil Sie immer wertvoller werden - werden Sie bestraft, weil Sie immer nur kleine Gehaltshopser machen, sei es durch die Inflationsanpassung. Während jemand, der neu kommt, immer an Ihnen vorbei zieht. Diese Kultur finde ich falsch. (derStandard.at, 14.4.2009)