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Ein Knopfdruck genügt, und 82 PS Zusatzpower lassen den Boliden schlagartig nach vorn schießen. Mit "Kers" kann jeder Funke Energie effizient eingesetzt werden.

Foto: REUTERS/Mick Tsikas

Die Technologie soll in die nächste Generation von Hybridautos einfließen.

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Als Christian Klien an jenem Septembermorgen auf die Start-Ziel-Gerade der Formel-1-Teststrecke im spanischen Jerez zurast, beginnt sein linker Zeigefinger zu kribbeln. Noch einmal ein kurzer Blick auf das Display in der Mitte seines Lenkrades: Energie bei 100 Prozent. Dann drückt der Österreicher den Boost-Knopf. Schlagartig schießt sein Bolide nach vorn. Erst kurz vor der nächsten Kurve geht die rasante Beschleunigungsfahrt abrupt mit einem Bremsmanöver zu Ende. "Man spürt die 82 PS Zusatzpower schon deutlich", sagt Klien, der sich immer wieder gern an seine erste Fahrt mit dem "Kinetic Energy Recovery System", kurz Kers, erinnert.

Kers, das in der aktuellen Formel-1-Saison erstmals eingesetzt werden darf, ist die Anabolika-Variante des Hybridantriebs, wie er etwa seit mehr als einem Jahrzehnt im Toyota Prius angeboten wird. Zwar wird die Formel 1 mit dem Kers nicht viel umweltfreundlicher - durch den anvisierten Technologietransfer profitiere aber die breite Masse der Automobile von der grünen Technologie, sagt Max Mosley, Chef der Fédération Internationale de l'Automobile (Fia).

Mithilfe des Kers kann die Bewegungsenergie der Formel-1-Renner, die bislang beim Bremsen in Form von Reibungshitze verpuffte, gespeichert - und zu einem späteren Zeitpunkt auf Knopfdruck als zusätzliche Antriebsenergie wieder zugeschaltet werden. "Von der Wirkungsweise her ist das Kers vergleichbar mit einem normalen Hybridantrieb", sagt Franz Pirker, Leiter des Mobility Departments an den Austrian Research Centers (ARC) in Seibersdorf.

Die Beanspruchungen allerdings könnten unterschiedlicher nicht sein, so der Experte: "Anders als Hybridsysteme im Serienfahrzeug arbeitet das Kers nur mit Spitzenlasten." Man betreibe die Komponenten permanent im Überlastbereich, reize so noch einmal die letzten paar Prozent Effizienz aus - und nimmt dafür allerdings auch eine extrem kurze Lebensdauer der Technik in Kauf.

Dazu kommt, dass das Ker-System nur in einem sehr eng abgesteckten Rahmen eingesetzt werden darf. Die Obergrenze des zusätzlichen Schubs ist derzeit auf 60 Kilowatt (82 PS) begrenzt. Pro Runde erlaubt die Fia den Fahrern, insgesamt 400 Kilojoule Energie abzurufen, das entspricht einem Einsatz der 60 Kilowatt über eine Dauer von 6,7 Sekunden. Generell darf das Kers erst ab einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde und nur bei einem mindestens zu 90 Prozent durchgedrückten Gaspedal aktiviert werden. Die Einhaltung dieser Regeln wird automatisch über die standardisierten Bordcomputer überwacht.

Elektrisch und mechanisch

Bis auf Williams haben sich alle Formel-1-Teams für ein elektrisches Kers entschieden. Dabei wandelt ein Elektromotor, der auch als Generator eingesetzt werden kann, die kinetische Energie beim Bremsen in Strom um, speichert diesen in Lithium-Ionen-Batterien und lässt die Energie auf Knopfdruck wieder in den Antriebsstrang fließen. Diese sogenannte MGU, kurz für Motor Generator Unit, ist im Heck zwischen Kraftstofftank und V8-Motor eingebaut. Wo und wie genau, fällt allerdings unter strikte Geheimhaltung.

Bei dem vergleichsweise exotischen Energiespeicher von Team Williams weiß man das zumindest etwas genauer: Kurz hinter dem Fahrer, fast auf Höhe des Helms, liegt ihre Quelle für den zusätzlichen Schub. Die Bremsenergie wird in einem kleinen Schwungrad aus Kohlefaser gespeichert, das mit Drehzahlen von rund 65.000 Umdrehungen in der Minute in einem Vakuumzylinder rotiert.

Bremst man dieses Höllenrad ab, wird die mechanisch gespeicherte Energie wieder frei. Tatsächlich ist der Wirkungsgrad des Systems höher als bei Batterien. "Sie können damit bis zu 70 Prozent der Bremsenergie retten und wieder einsetzen, bei Batterien kommen sie mit Mühe auf 50 Prozent", erklärt John Hilton, Produktmanager bei Flybrid Systems, das ein Schwungrad-Kers für die Formel 1 entwickelt hat. Jedoch sei die Frage, wie man die Energie wieder aus dem Schwungrad zurückholt, tückisch, schränkt Pirker ein, besonders was die Kraftübertragung und die Kupplung betreffe.

Zudem beeinflussen die hohen Kreiselkräfte, die wie Seitenwind wirken, das Fahrverhalten. Dieses Problem bekommt man theoretisch in den Griff, indem man zwei gegenläufige Schwungräder einbaut, sodass sich die Kreiselkräfte gegenseitig aufheben. Schwungrad-Entwickler Hilton arbeitet zurzeit an einer Umsetzung für das Serienauto. Bei dem von der britischen Regierung finanzierten Projekt kooperiert Flybrid mit Jaguar.

Auch die Fortschritte beim elektrischen Kers sollen künftig in Hybrid-Serienautos zum Zug kommen, sagt Pirker. Neben verbesserten Leistungsdaten der Batterie und der Elektronik sei vor allem auch das geringe Gewicht (rund 30 Kilogramm) und die kompakte Bauform des Formel-1-Hybridantriebs äußerst interessant für die Automobile von morgen.

Die Formel-1-Fahrer müssen sich allerdings auf neue Bedingungen einstellen: Durch das Mehrgewicht gibt es weniger Spielraum für Ballastgewichte, zudem verschiebt sich der Schwerpunkt des Fahrzeugs nach hinten, wodurch sich die Hinterreifen deutlich schneller abnutzen.

"Kers hat einen Gewichtsnachteil und einen Leistungsvorteil", resümiert BMW-Sauber-Chef Mario Theissen. "In Summe, wenn man es gut macht, kommt eine um zwei bis drei Zehntelsekunden bessere Rundenzeit heraus." Nicht gerade viel, wenn man bedenkt, dass mit einer falschen Aerodynamik gleich mehrere Sekunden pro Runde verschenkt werden können. Wenn man aber auf einer Geraden ein Auto überholen kann, dann brauche man nicht unbedingt eine schnellere Rundenzeit, so Theissen. Der Boost kann über Sieg und Niederlage entscheiden. Vor allem, wenn der Gegner kein Kers hat. (Denis Dilba/DER STANDARD, Printausgabe, 15.04.2009)