Bild nicht mehr verfügbar.

"Niederschwellig" heißt, auch für Analphabeten klar verständlich: Kampagne gegen weibliche Genitalverstümmelung.

Foto: Reuters

Paris - Guten Sex hatte Aissata (Name geändert) zum ersten Mal, als sie über 40 war. Die aus Mali stammende Französin war als Kleinkind beschnitten worden. Sie hat drei Töchter, kannte beim Geschlechtsverkehr aber keinen Orgasmus. Kürzlich hat sie sich in einer Operation die Klitoris wieder herstellen lassen. "Ich hatte mir immer gewünscht, dass man das reparieren kann", sagt die 46 Jahre alte Lehrerin, die in Paris lebt. Aissata engagiert sich heute im Kampf gegen die Beschneidung von Mädchen. Die französische Regierung hat in dieser Woche eine umfassende Kampagne gestartet, um gegen dieses Praxis vorzugehen.

"Meine Mutter wollte nie darüber sprechen", sagt Aissata. "Für sie war das völlig selbstverständlich. Für mich bedeutete es immer nur Leid", sagt sie. Ihr französischer Ehemann habe ihr immer vorgehalten, sie reagiere beim Sex "nicht normal".

Grausamer Initiationsritus

Die Beschneidung von Mädchen ist in verschiedenen Formen in afrikanischen und arabischen Ländern bis heute weitverbreitet. Es handelt sich um einen Initiationsritus, der keine religiöse Basis hat. Beschneiderinnen entfernen den Mädchen die Klitoris und - vor allem in Somalia und Dschibuti - auch die Schamlippen.

Die Genitalverstümmelung ist in Europa und vielen afrikanischen Ländern verboten. In Frankreich, wo zahlreiche Einwanderer aus den ehemaligen Kolonien leben, sind schätzungsweise 55.000 Mädchen und Frauen beschnitten. "Keine Tradition oder kulturelle Gewohnheit kann eine Praxis rechtfertigen, die das fundamentale Recht von Frauen verletzt", betont die französische Staatssekretärin für Solidarität, Valérie Létard.

Viele Mädchen aus Einwandererfamilien würden beschnitten, wenn sie über die Ferien in die Herkunftsländer reisten, sagt Létard. "Es kommt vor, dass sie als Jugendliche beschnitten und dann gleich zwangsverheiratet werden."

In Frankreich wird die Gefahr einer Beschneidung als Asylgrund anerkannt. Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Asylwerberinnen und Asylwerber aus Mali deswegen vervierfacht. Erst im März hat ein französisches Gericht bekräftigt, dass bei drohender Genitalverstümmelung sowohl das Mädchen als auch die Eltern als Flüchtlinge anerkannt werden sollen.

So wie Aissata lassen sich immer mehr beschnittene Mädchen in Frankreich ihr Geschlechtsorgan wiederherstellen. Der Arzt Pierre Foldès hat die Methode bereits vor 25 Jahren entwickelt. "Die Klitoris ist ein inneres Organ, das mehrere Zentimeter lang ist", erklärt er. "Bei dem Eingriff wird ein Stück hervorgeholt." Ein halbes Jahr nach dem Eingriff würden Frauen beim Geschlechtsverkehr erstmals etwas empfinden, das sie zuvor nicht kannten. Jede Woche lassen sich mehrere Frauen behandeln. Die Operation wird von der Krankenkasse bezahlt.

"Ich bin froh, dass ich mich dazu entschieden habe", sagt Aissata. Sie wäre nicht auf die Idee gekommen, ihre Töchter beschneiden zu lassen, auch wenn ihre Familie in Mali das nicht verstehen kann. "Man sagt den Mädchen, es sei zu ihrem Vorteil, aber das stimmt einfach nicht."
(Ulrike Koltermann, DER STANDARD/PRintausgabe 16.04.2008)