Wien – Der Direktor des seit Jahren gegen Steuerflucht kämpfenden Tax Justice Network, John Christensen, hält die OECD für die falsche Institution für den Kampf gegen Steueroasen. Die OECD-Listen der Steueroasen seien "bizarr" und in keiner Hinsicht hilfreich, und das wichtige Thema Steuervermeidung von Konzernen sei bisher völlig ausgespart, sagte Christensen bei einem Besuch in Wien. Österreichs Stiftungsrecht kritisiert er als absolut intransparent.

Standard: Länder wie Österreich und die Schweiz wehren sich mit Händen und Füßen dagegen, Steuerbefreiungen und Bankgeheimnis aufgeben zu müssen, weil sie das als Bedrohung als internationaler Finanzplatz empfinden. Zu Recht?

Christensen: Das Austrocknen von Steueroasen ist nur ein Schritt von vielen hin zu mehr Steuergerechtigkeit. Aber ein sehr wichtiger, bei dem es nicht nur darum geht, dass die Reichen dort versteuern, wo sie leben. Steueroasen sind ein Problem, weil sie nicht transparent sind und damit modernen, offenen und gerechteren Finanzsystemen zuwiderlaufen. Schließlich werden Steueroasen als Drehscheibe für Hedgefonds benutzt. Die verbrieften Schuldverschreibungen, die die Finanzkrise ausgelöst haben, wurden über Steuer-Häfen wie die Cayman Islands oder die Kanalinseln abgewickelt.

Standard: Auch über Österreich?

Christensen: Österreich scheint eher beim internationalen Konkurrenzieren um die Gelder der Reichen mitzuspielen, hat sich einen Namen im "Wealth Management" gemacht und beim steuerschonenden Vermögensaufbau. Ganz wichtig dabei ist das Stiftungsrecht, das entsprechende Möglichkeiten eröffnet.

Standard: Es gibt also Finanzplätze, die sind viel ärger als Österreich oder die Schweiz. Zum Beispiel Jersey – eine Insel, die Sie in ihrem früheren Berufsleben steuertechnisch beraten haben.

Christensen: Es gibt immer jemanden, der ärger ist. Aber ja: Ich habe auf Jersey das Steuervermeidungs-System von innen kennengelernt. Und ich kann Ihnen sagen, dass die jetzt, wo sie den Finanzplatz reorganisieren wollen, große Probleme haben. Die Finanzwirtschaft ist dort ein wichtiger Arbeitgeber. Bei der Debatte, die meine Organisation, das Tax Justice Network, führt, geht es darum, die Finanzmärkte nachhaltig und damit Markt-gerechter zu machen. Da ist Transparenz unabdingbar, und das hat viel mit Ethik und Moral zu tun. Transparente Finanzmärkte sind wichtig für die Demokratie; wenn Transparenz fehlt, unterminiert dies demokratische Strukturen.

Standard: Welche Rolle spielen dabei internationale Accounting-Standards, die Sie fordern?

Christensen: Die größten Nutznießer von Steueroasen, von den intransparenten Finanzstrukturen, sind die multinational agierenden Konzerne. Mehr als 60 Prozent des weltweiten Handels gehen auf das Konto dieser Unternehmen. Für die sind die Steueroasen ein Geschenk des Himmels. Da werden ganz legal Gewinne dorthin verschoben, wo es opportun ist oder wo man die geringsten Steuern zahlt. Und es wird nie dort Steuer gezahlt, wo die Geschäfte gemacht wurden. Das ist eine große Ungerechtigkeit gegenüber den Entwicklungsländern. Die Konzerne sollen dort versteuern, wo sie tätig sind! Das geht aber nur, wenn vom globalen Bilanzlegen Abschied genommen wird und stattdessen ein "Country by Country-Reporting" eingeführt wird.

Standard: Wie beurteilen Sie die OECD-Länderlisten?

Christensen: Die OECD ist als politisch ausgerichtete Institution mit daran schuld, dass sich jahrzehntelang das Steuervermeidungssystem so hat ausbreiten können. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 17.4.2009)