Rauchen ist der neue Punk. Der australische Songwriter Scott Matthew inszeniert großes Kino im Drei- bis Fünfminutenformat.

 

 

Foto: Hoanzl

Wien - Wenn das Herz mit Kummer gut gefüllt ist, hilft oft das Weinen. Es wird sich deshalb zwar nichts ändern. Danach aber geht es einem meistens besser. Das Gemeine am Leben: Katastrophen kann man immer nur betrachten oder selbst erleben. Verstehen kann man sie nie. Was lernen wir daraus? Wie Wilhelm Genazino in seinem aktuellen Roman Das Glück in glücksfernen Zeiten schreibt, geht es eben auch darum, seine lebenslange Melancholie durch unfreiwilliges, aber konsequentes Work- oder Burn-out durchzutrainieren.

Darin sind wir Männer Weltmeister. Frauen haben für so etwas meist weniger Zeit. Sie müssen das Geschäft am Laufen halten. Sie hören aber abends oft sehr gern zu, wenn westliche, weiße, privilegierte Söhne des Mittelstands auf CD und Bühne die Laute schlagen und über den Schmerz singen.

So, das war die Geschichte des Songwriting seit Hank Williams im Schnelldurchlauf. Songwriter-Gottheit Townes Van Zandt brachte es einmal mit einem berühmten Bonmot auf den Punkt: "There are only two kinds of music: There's the blues, and there's Zip-A-Dee-Doo-Dah."

Im Rahmen der Berichterstattung über dieses hehre öffentliche Leiden gilt es heute, wieder einmal von einem kleinen Wunder zu künden. Der in New York lebende australische Schmerzensmann Scott Matthew legt mit seinem There is an ocean that divides and with my longing I can charge it with a voltage that's so violent to cross it could mean death nicht nur ein bezüglich seiner Titellänge durchaus rekordverdächtiges Album vor. Wie jeder Künstler, der im Tragödenfach nach Perfektion strebt, weiß er auch, dass das Weinen mitunter ziemlich lustig geraten kann. Trauerflor sprießt oft aus Lachwurzen.

Metaphysische Bestürzung

Die auf dem verdienten deutschen Glitterhouse-Label erscheinenden elf Lieder drängen anhand der zentralen Problemstellung Liebeslied und Liebesleid zwar immer noch zu den großen letzten Fragen. Dabei drohen sie auf jeden Fall künstlerisch gewollt in eine metaphysische Grundbestürzung zu kippen. Man ist immer allein, selbst zu zweit ist man einsam, die neue Therapie hilft auch nicht, das Altwerden ist eine Plage - und was willst du jetzt mit dem Küchenmesser in der Hand, nein, um Gottes willen, tu's nicht, ich habe es doch nicht so gemeint, ich - Hilfe!

Allerdings zieht Scott Matthew im entscheidenden Moment, am Kipppunkt des Tragischen ins Pathetische, gern an der postmodernen Reißleine der Ironie. Er bringt mit Schunkelrhythmus und Klassikern der Inbrunst wie schalalaenden Frauen, einem hühnerbrüstigen Bläsersatz und seiner Ukulele im Song Ornament einen breiten lyrischen Grinser Richtung Leonard Cohen zustande: "I've taken drugs, I've taken sides / The devil taught me alibis / Now you've seen all that I'll never be / It thrills me 'cause you're still not leaving."

Merke: Weiße Schmerzensmänner mit Weltschmerz im Blick und Ukulele in der Hand haben es faustdick hinter den Ohren.

Scott Matthew feierte seinen Durchbruch 2006 als Songlieferant für die schwarze US-Filmkomödie Shortbus von James Cameron Mitchell sowie zuvor für einige Trickfilme. Nach einem namenlosen Debüt aus dem Jahr 2007 hat Matthew nun seine Kunst musikalisch vom schlanken Akustikgitarren-Folk auf großes Drama mit bedachtsam wie luftig arrangierter Band inklusive Klavier, Streicher- und Bläsersatz sowie Chor erweitert, ohne die Lieder zu überfrachten.

Das eigentliche Königsdrama spielt sich ohnehin in Matthews Gesang ab. Gebrochen wie erhaben pendelt seine Stimme zwischen David Bowie und dessen baritonaler Knödelkunst, Elvis Costello im Zeichen der japsenden Kurzatmigkeit oder dem durch die Nase leidenden Mark Hollis von der Götterband Talk Talk. Ein Ereignis, selbst wenn Scott Matthew in White Horse mit letztem Lebenswillen gerade noch die Zeilen There is a white horse caged in my heart and it's going to kill me to get out zu hauchen vermag. Am Album There Is An Ocean... wird man Ende des Jahres nicht vorbeikommen. Es erscheint am 24. April im Österreichvertrieb bei Hoanzl.

Große, erschütternde Kunst, wie man sie nur noch selten hört. Zeitweise entlädt sich die dramatische Anspannung in befreiendem Lachen. Live sorgt der Mann mit Coverversionen wie Love Will Tear Us Apart von Joy Division oder The Boy With The Thorn In His Side von Morrissey und The Smiths für zusätzliche Gänsehaut. Am 6. Mai im Wiener Wuk, am 9. Mai im Kino Ebensee zu bestaunen. (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.4.2009)