Die massiven Angriffe von Finanzminister Josef Pröll und zahlreichen Spitzenvertretern der Republik auf Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman lassen zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder hat Krugman Österreich auf eine Weise verleumdet, die eine solch heftige Reaktion rechtfertigt - oder er hat eine Wahrheit ausgesprochen, die aus Gründen der Staatsräson nicht ans Licht kommen darf.
Vieles - vor allem der gereizte Tonfall in den Staatsattacken auf einen einzelnen Professor - spricht für die letztere Version. Wenn Krugmans Warnungen vor massiven finanziellen Problemen durch das Ostengagement der Banken - vom Staatsbankrott hat er nicht gesprochen - wirklich so unbegründet wären, dann hätte man ihn ignorieren können, Nobelpreis hin oder her. Dann wäre es nicht notwendig gewesen, dass der Vizekanzler einem renommierten Wissenschafter unterstellt, er lasse sich von neidischen Mitbewerbern einspannen, um Österreichs Banken madig zu machen und in profitablen Märkten aus dem Weg zu räumen. Wenn sich Österreicher zu Opfern internationaler Machenschaften stilisieren, wollen sie meist dunkle Geheimnisse verbergen.

Diese sind diesmal wohl in den Büchern von Erste Bank, Raiffeisen International und Bank Austria vergraben. Niemand kennt derzeit das genaue Ausmaß der Verluste, die das Engagement im Osten heuer in deren Bilanzen hinterlassen wird, aber dass es sich um große Summen handelt, steht außer Zweifel.
Die Banken haben in der Region jahrelang blendend verdient und konnten auch im Vorjahr noch positiv bilanzieren. Doch nun zwingt die Finanzkrise, die einige Oststaaten besonders hart trifft, zu massiven Abwertungen. Selbst wenn es beim oft genannten Ausfallrisiko von bis zu 30 Milliarden Euro bleibt, käme im Ernstfall ein noch größerer Liquiditätsbedarf der Osttöchter dazu, den die Austro-Mütter und schließlich die Republik decken müssten. Doch Österreich könnte sich das allein gar nicht leisten.

Diese dramatische Lageeinschätzung im Rest der Welt schlägt sich in den geprügelten Aktienkursen und den deutlichen Zinsaufschlägen auf heimische Staatsanleihen nieder. Das Treichl, Stepic und Co derzeit wirklich so gut schlafen, wie sie behaupten, scheint ihnen außerhalb der Grenzen niemand abzunehmen. Dahinter eine internationale Verschwörung zu vermuten ist absurd; und zu behaupten, Analysten in London, Frankfurt oder New York wüssten nichts über Osteuropa, zeugt von einer maßlosen Selbstüberschätzung im alten k.u.k. Geist.
Umso vehementer fühlen sich Banken, Regierung, Nationalbank und Interessenvertreter bemüßigt, alle Zweifel an der Solidität der Staatsfinanzen abzuwehren. Dahinter steht wohl auch die Sorge, dass ein allzu offenes Wort Panik auslöst und zur Selffulfilling prophecy wird. Das würde Österreich sofort in Form höherer Zinsen auf die Staatsschulden zu spüren bekommen.

Eine solche Strategie des Mauerns hat allerdings einen Preis: die eigene Glaubwürdigkeit. Vielleicht stimmt es, dass die Finanzwelt in einigen Monaten schlechte Nachrichten eher verkraften kann als heute. Aber wichtiger als der Zeitpunkt ist für Österreich die europäische Solidarität. Hier hat die Regierung seit Jahresanfang bereits viel erreicht: Niemand zweifelt mehr daran, dass die heimischen Banken im Notfall durch ein EU-weites Rettungspaket aufgefangen werden. Denn sonst droht die Wirtschaft in ganz Osteuropa zusammenzubrechen.
Noch ist all dies informell, aber offiziell existiert ja gar kein Problem. Vielleicht wäre es an der Zeit, dass die Banken ihre Bücher öffnen und die Politik die Lage ohne Schönfärberei bespricht. Dann wären auch die europäischen Partner gefordert, Farbe zu bekennen.(Eric Frey, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.4.2009)