Dresden/Wien - Mit insgesamt 33 als "Weltkulturerbe" anerkannten Denkmälern gehört Deutschland europaweit zu den Ländern mit den meisten von der Unesco ausgezeichneten Sehenswürdigkeiten. Kommenden Juni könnte es hingegen das erste Land in Europa (und nach dem Oman das zweite Land der Welt werden), dem in einem Fall der Status aberkannt wird. Damit argumentieren zumindest Gegner der sich seit November 2007 in Bau befindlichen Neuen Waldschlösschenbrücke. Die Brücke soll bei Dresden, das seit 2004 wie weltweit 877 andere Kultur- und Naturdenkmäler als "Weltkulturerbe" gilt, über die Elbe führen.
Unermüdlich versuchen Brücken-Gegner, den Druck auf die Stadt zu erhöhen - so auch diese Woche bei einer Pressekonferenz in Dresden. Mit auf dem Podium befand sich Christian Schuhböck von der österreichischen Umweltorganisation "Alliance for Nature". Er ist überzeugt, dass "im Falle eines Brückenbaus die Glaubwürdigkeit und Wertigkeit der Welterbe-Konvention weitgehend infrage gestellt wird und sich möglicherweise ein internationaler Domino-effekt entwickelt". Und Schuhböck fragt sich, was das Zertifikat "Weltkulturerbe" noch wert wäre, wenn Dresden die Brücke bauen dürfte und keine Konsequenzen der Unesco folgten.
Für Österreich ist diese Frage im Hinblick auf den Semmeringbasistunnel interessant. Dieser befindet sich in unmittelbarer Nähe der Semmeringbahn, die mit ihrer Umgebung seit 1998 unter Unesco-Schutz steht. Und: Was hieße so eine Entscheidung für Prag, dem im Sommer 2008 die Aberkennung des Weltkulturerbe-Titels wegen eines Hochhausprojekts gedroht hatte?
Hochhaus beim Kölner Dom
Für Deutschland sind Reibereien mit der Unesco nichts Neues: Als in den 90er-Jahren im Bereich der Schlösser von Potsdam-Sanssouci ein Einkaufszentrum errichtet werden sollte, gab es jahrelang Streit mit der Unesco. Und als Köln vor wenigen Jahren den Bau eines Hochhauskomplexes plante, landete der Kölner Dom wegen Gefährdung der visuellen Integrität auf der Roten Liste der Unesco - bis das Bauprojekt zurückgezogen wurde. "Köln würde sofort mit der Errichtung der Hochhäuser beginnen, wenn Dresden bauen darf", ist Schuhböck überzeugt.
Dresden will beides: Die Straßenverbindung, für die sich die Mehrheit der Bürger ausgesprochen hat und das Prädikat "Weltkulturerbe". Laufend führt die Stadt Gespräche mit der Unesco. Auch eine Untertunnelung der Elbe war als Alternative angedacht. Im März wurde diese Variante aber vom Verwaltungsgerichtshof abgelehnt, da sie einen größeren Eingriff in das Gebiet bedeuten würde als die Errichtung der Brücke. Derzeit sieht es ganz danach aus, dass 2011 die Neue Waldschlösschenbrücke steht - ob mit Aussicht auf eine Stadt mit "Weltkulturerbe"-Status, wird sich zeigen. (Gudrun Springe, DER STANDARD/Printausgabe, 18./19.04.2009)