Bisher konnte der politisch interessierte Bürger von einer wissenschaftlich einigermaßen gut abgesicherten Erkenntnis ausgehen: Regierungsmitglieder sind in einer Zeit, in der vor allem die Bilder und das Fernsehen den Gang der Politik dominieren, im Vorteil. Allein aufgrund der Häufigkeit ihrer Auftritte, einer Präsenz, die sich aus exekutiver Arbeit naturgemäß ergibt, verfügen sie über einen unschätzbaren Vorteil. Die politischen Gegner haben es viel schwerer, ihr politisches Programm und ihre Kritik unter die Leute zu bringen. Seit der jüngsten TV-Debatte der vier Parteichefs Dienstagabend zur besten Sendezeit gilt das nicht mehr: Etwas Günstigeres als möglichst viele Auftritte der Opposition kann sich die Regierung nicht wünschen. Noch ein paar derartige harm- und zahnlose, einschläfernde Darbietungen von Alfred Gusenbauer und Alexander Van der Bellen, dann darf Wolfgang Schüssel beruhigt einer Art ewigen Kanzlerschaft entgegensehen. Vielleicht konnte Schüssel deshalb das für ihn in letzter Zeit so typische feine Grinsen kaum unterdrücken: Am „Siegesrausch“- Gefühl, den Gusenbauers und Van der Bellens Parteisekretäre dem Kanzler sonst attestieren, liegt es sicher nicht. Soll Schüssel weinen, wenn zwei inferiore Parteichefs nicht einmal in der Lage sind, einem sprachlich nicht zu folgenden FP-Vizekanzler Paroli zu bieten – just an dem Tag, an dem Herbert Haupt nicht nur die Erhöhung des Pflegegeldes, sondern auch noch die Aufhebung der Ambulanzgebühr vergurkte? Aber man soll nicht ungerecht sein: Gusenbauer hat sich redlich bemüht, wurde aber vom Wirtschaftsprofessor Van der Bellen an oppositioneller Stumpfheit noch unterboten: Der wünschte der Regierung bei der umstrittenen Steuerreform sogar noch Glück und Erfolg. Nicht schlecht. Besser wäre es gewesen, der Grüne hätte Punkt für Punkt ein paar von den Steuer- und Budgetbluffs von Schwarz-Blau aufgezeigt. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.3.2003)
Diskurs
Regieren ohne Opposition
Wenn Gusenbauer und Von der Bellen weiterhin so zahnlos auftreten, darf Schüssel beruhigt einer Art ewigen Kanzlerschaft entgegensehen - Von Thomas Mayer