Das diesjährige Diagonale-Programm überrascht bisher vor allem mit einer ganzen Reihe bemerkenswerter kurzer Arbeiten.

Dominik Kamalzadeh und Isabella Reicher berichten aus Graz und ziehen, zwei Tage vor Festivalende, eine Bilanz.


Foto: Diagonale

Der härteste Mann ist eine Frau im Combat-Outfit, der friedlichste Kerl ein prämierter Bodybuilder, und die begehrtesten Prostituierten sind Merlin und Selena, zwei Transsexuelle. Keine(r) ist, was er/sie scheint, jede(r) wird, was er/sie will:

In Zelimir Zilniks Marmorarsch, entstanden 1994 in Belgrad, werden der Krieg und seine Folgen für eine Hand voll Figuren in so intelligente wie komische Maskeraden gekleidet.

Foto: Diagonale

Dieselben Archetypen - machistische Offiziere, Bräute in Weiß oder leichte Mädchen - gibt es auch in Franz Novotnys neuem Spielfilm YU.

Die Erzählung, in der sie auftauchen, ist allerdings ungleich konventioneller und von atemberaubend unerschütterlichem Glauben an kernigen Männersprech geprägt. Hier hat noch jeder seine festgeschriebene Rolle, und es bewegt sich dementsprechend wenig.

Foto: Diagonale

Drei angealterte Buben reisen mit einer attraktiven Autostopperin im Porsche von Wien gen Süden und geraten zwischen die serbisch-kroatischen Fronten, auf echtes Männerterrain.

Sätze wie "Fick um unser Leben" fliegen einem um die Ohren - entweder ist das eine besonders elaborierte Form von psychologischer Kriegsführung oder die perfekt getarnte Parodie.

Foto: Diagonale

Novotny hat außerdem Michael Pfeiffenbergers 011 Beograd produziert. Auch hier bleibt der Ort des Geschehens mehr ein pittoresker (Ruinen-) Hintergrund für die Geschichte dreier Twens, die von einem anderen Leben träumen und einander dabei fast verlieren.

Dieses Jahr gehört eindeutig den kleineren Formaten:
Innerhalb des Kurzfilmschaffens ist die Bandbreite ästhetischer Ausdrucksformen nach wie vor groß; nicht zuletzt hier leistet die Diagonale Wichtiges, wenn sie diesem heterogenen heimischen Kino eine (erste) Öffentlichkeit sichert...

Foto: Diagonale

... - und umso erfreulicher ist es dann, dass diese Formate als eigenständige Form genützt werden.

firn von Sigmund Steiner ist eine Miniatur, die kaum Anstalten macht, einer Dramaturgie zu gehorchen. Ein Sohn kommt aus der Stadt auf Besuch zu Vater und Bruder am Bauernhof. Aus wenigen Situationen und Sätzen wird hier eine leicht zerrüttete Familienkonstellation erkennbar, die aus unterschiedlichen Praktiken rührt, mit dem gemeinsamen Erbe umzugehen.

Foto: Diagonale

Kleine Heimlichkeiten

Stark im Sehen ist auch Marie Kreutzers Un peu beaucoup, der von der ersten Liebe eines Mädchens (Pauline Reiner in einer Talentprobe) erzählt, über die wesentlichen Nebensächlichkeiten: verstohlene Blicke, flüchtige Erregungen oder heimlich gerauchte Zigaretten.

Das Verliebtsein bleibt zunächst ein Geheimnis, woraus es seinen Reiz bezieht; dann wird das Mädchen schwanger - und die Leichtigkeit des Geschehens mündet in ein Ende, das erzählerisch fast ein bisschen zu viel will.

Foto: Diagonale

Zwischen Fiktion und Fakt changiert dagegen Exploration, ein weiterer ungewöhnlicher Kurzfilm von Joerg Burger (Moscouw): Ein therapeutisches Gespräch nimmt darin seinen Lauf.

Eine Frau berichtet von Angstzuständen; die andere versucht darauf, etwas zögerlich zu reagieren - eine Simulation zu Übungszwecken, wie man später erfährt, deren Glaubwürdigkeit Burger quasi am Zuschauer testet.

Foto: Diagonale

Experimentelle Musikvideos, seit Jahren auf der Diagonale präsent, waren heuer Teil eines Programms, das vielfältige Ansätze bündelte. Insgesamt überzeugten die abstrakten Formate mehr als jene, die vergleichsweise klassisch funktionierten:

Michaela Grills Video trans, das zu Klängen von Martin Siewert Bildmaterial in seine porösen Bestandteile auflöst, war der sinnlichste Beitrag. In mehreren Intensitätsstufen folgt das Material - grau-schwarze Spuren auf Weiß - der Bewegung der Töne und entwickelt enorme taktile Qualitäten.

Foto: Diagonale

Poetisch hingegen Siegfried A. Fruhaufs Bildspur zu Attwengers Sun: ein unverwandter Blick auf den grellen Himmelskörper, hie und da von grünlich leuchtenden Wolkenformationen verstellt. Sechs Minuten lang geht das - unbeschadet - nur im Kino. (DER STANDARD, Printausgabe, 29./30.3.2003)


Foto: Diagonale