
60.000 bis 65.000 Tonnen Backwaren-Müll fallen in Österreich jährlich an.
Was Lebensmittel betrifft, ist der durchschnittliche Bewohner eines Industriestaates gewohnt, aus dem Vollen zu schöpfen: Die Regale der Supermarktketten sind auch fünf Minuten vor Ladenschluss noch zum Bersten voll und bieten alles, was das Herz begehrt. Freilich haben viele Lebensmittel eine beschränkte Haltbarkeit, und wohin dann damit? Die Antwort ist so einfach wie deprimierend: auf den Müll. Forscher des Institutes für Abfallwirtschaft vom Department Wasser-Atmosphäre-Umwelt der Wiener Universität für Bodenkultur (Boku) erheben seit einigen Jahren, wie sich unser Abfall zusammensetzt.
Dabei haben sie herausgefunden, dass sechs bis zwölf Prozent des Restmülls von Haushalten Lebensmittel sind. Genauer kann man es im Moment nicht sagen. Tatsache ist, dass ein guter Teil davon originalverpackt ist und bei weitem nicht alles jenseits des Ablaufdatums. Das sind zwischen 83.000 und 166.000 Tonnen weggeworfenes Essen pro Jahr, wobei Molkereiprodukte und Eier, Gemüse, Brot und Gebäck sowie Fleisch die am häufigsten vertretenen Gruppen darstellen.
Lebensmittel als Abfall war auch eines der Hauptthemen bei der 3. Internationalen Müll-Tagung, die vergangene Woche vom Institut für Abfallwirtschaft an der Boku veranstaltet wurde, denn das Übel tritt in allen Industriestaaten auf. Vor allem in Deutschland und Österreich stellen Backwaren - also Brot, Gebäck und Mehlspeisen - ein besonderes Problem dar. Die ungeheure Vielfalt, die in diesen beiden Ländern auf dem Sektor herrscht, hat einen hohen Preis: Geschätzte 20 bis 25 Prozent der gesamten Erzeugung werden nicht gegessen, sondern enden größtenteils als Tierfutter oder gar als Biogas-Lieferant.
Gebäck in Kommission
Um dem Konsumenten auch noch kurz vor Geschäftsschluss die volle Auswahl bieten zu können, wird wesentlich mehr produziert, als gekauft wird. Supermärkte erhalten Brot und Gebäck dabei von der jeweiligen Lieferbäckerei quasi in Kommission: Was nicht verkauft wurde, wird am nächsten Tag zurückgegeben. Zu zahlen ist nur das, was auch weggekommen ist. Auf dem Rest bleiben die Bäckereien sitzen.
Geschätzte 60.000 bis 65.000 Tonnen Backwaren-"Müll" fällt pro Jahr in Österreich an. Dabei ist es nicht nur schade um gute Lebensmittel. Das bedeutet gleichzeitig: 20 bis 25 Prozent vergeudete Anbaufläche für das Getreide und entsprechend viel verschwendete Energie für dessen Verarbeitung, Transport und Handel. Dazu kommen noch anschließende Rücknahme und Entsorgung. All das kostet Geld.
Die Linzer Bäckereikette "Ring" hat begonnen, aus dem irrwitzigen Kreislauf auszusteigen. So hat sie die Belieferung von Supermärkten eingestellt, die sich nicht bereit erklärt haben, den Gebäck-Rücklauf zu deckeln. Gleichzeitig bildet sie das Personal in ihren eigenen 70 Zweigstellen darin aus, die Kundschaft bei Alternativen zum Wunsch-Weckerl zu beraten, wenn dieses im Lauf des Nachmittags aus ist. Wer trotzdem nicht auf sein Spezialgebäck verzichten möchte, kann dieses telefonisch bestellen - und kriegt dafür fünf Prozent Preisnachlass.
Und eine Stunde vor Geschäftsschluss darf sich jeder Kunde, der für mindestens fünf Euro einkauft, ein Gebäck gratis aussuchen. Vor allem durch den Rückzug von den Supermärkten, aber auch durch diese abfallvermindernden Maßnahmen konnte "Ring" seinen Gebäck-Abfall von 20 auf 4 Tonnen reduzieren.
Hungernde Menschen
Lebensmittel wegzuwerfen, ist natürlich in mehrerlei Hinsicht problematisch. Weltweit leidet rund eine Milliarde Menschen Hunger, 24.000 sterben täglich daran. Aber auch daheim werden nicht alle satt: Laut Walter Feninger von SOMA (Sozialmarkt) Österreich leben eine Million Österreicher unter der Armutsgrenze - 45.000 von ihnen haben eine Einkaufsberechtigung bei den SOMA-Märkten, die - wie die "Wiener Tafel" und ähnliche Einrichtungen - überschüssige Nahrungsmittel sammeln und für sozial Schwache billig anbieten. Aber:"Viele haben sogar dafür zu wenig Geld", erzählt Feninger. Und: Es wird bei weitem nicht so viel Essen gespendet, wie gebraucht würde.
Da wundert es nicht, was die Forscher der Universität für Bodenkultur bei Befragungen zu den Gründen des essbaren Biomülls herausgefunden haben: Wenn es darum geht, wie das Essen in den Mist kommt, will es niemand gewesen sein. Die meisten Leute geben an, dass sie kaum Lebensmittel wegwerfen. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Printausgabe, 22.04.2009)