Rabenvögel erweisen sich als außerordentlich begabte Problemlöser. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Lebensbedingungen nutzen die verschiedenen Arten ihre kognitiven Fähigkeiten anders als die ebenso intelligenten Papageien.

Foto: Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (KLF)

Ihre außerordentlich hohe Intelligenz ist mittlerweile unbestritten. Sie können einfache Rechenaufgaben lösen, verbergen Nahrungsvorräte vor Fressfeinden und benutzen bei der Futtersuche auch schon mal Werkzeuge. Rabenvögel und Papageien sind offensichtlich zum Denken befähigt. Aber sind die Tiere zu regelrechten logischen Schlüssen in der Lage? Erste Ergebnisse eines derzeit laufenden Forschungsprojektes der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle (KLF) in Grünau legen diesen Schluss nahe.

Konkret wollen die beiden Verhaltensforscher Kurt Kotrschal und Christian Schloegl mit ihrem Team der Frage nach den evolutionären Mechanismen nachgehen, die der Entwicklung von Intelligenz zugrunde liegen. Hauptakteure des Projektes "Denken bei Vögeln" ("Reasoning in birds") sind aber Graupapageien und Keas einerseits und Kolkraben, Neukaledonische Krähen und Eichelhäher andererseits.

Beide Vogelgruppen zeigten bereits bei früheren Experimenten ein hohes Maß an Intelligenz. Nur in der Ausformung und Anwendung ihrer kognitiven Fähigkeiten unterscheiden sie sich stark. "Der Grund dafür liegt in der Verschiedenartigkeit ihrer Lebensweisen und Umweltbedingungen," erklärt Kotrschal im derStandard.at-Gespräch. Kolkraben beispielsweise gelten als klassische Futterverstecker. Sie müssen sich gegenüber Nahrungskonkurrenten aus den eigenen Reihen und Fressfeinden durchsetzen. Die neuseeländischen Keas dagegen haben mit diesen Problemen nicht zu kämpfen.

Perspektivenwechsel

Dementsprechend zeigen die Kolkraben ein Verhalten, das darauf schließen lässt, dass sie zu einem Perspektivenwechsel fähig sind. Werden die Tiere beim Anlegen eines Nahrungsversteckes beobachtet und bemerken sie das, dann suchen sie sich einen neuen Platz für ihr Lager. "Das zeigt uns, dass Kolkraben dazu in der Lage sind, sich in andere Tiere hineinzuversetzen," meint Kotrschal.

Auch im Experiment werden die unterschiedlichen Ausformungen der jeweiligen Intelligenz bei Papageien und Rabenvögeln offenkundig. Dass sich dabei besonders die Kolkraben als "logische Denker" hervortun, zeigte folgender Versuch: Die Forscher von der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle präsentierten den Vögeln zwei Becher, wovon einer Futter enthielt. Gezeigt wurde den Raben allerdings nur jener Becher, unter dem sich kein Leckerbissen befand. Die Tiere zogen daraus den Schluss, dass das Futter folglich unter dem anderen Becher sein muss. Papageien hatten mit dieser Versuchsanordnung im Unterschied zu den Raben ihre liebe Not. Hunde tun sich übrigens ebenso schwer mit diesem Test, wie Kotrschal anmerkt.

Logische Problemlöser

Bei einem anderen Experiment tritt die hohe kognitive Leistungsfähigkeit der Kolkraben noch verblüffender zutage. Die Forscher verbargen Futter in etwa 30 Zentimeter lange gerade und mit einem Knick versehene Röhren. In beiden Fällen hatten die Kolkraben keine Schwierigkeiten an die Leckereien zu gelangen. "Das zeigt uns, dass die Vögel das Prinzip 'gebogene Röhre' verstanden haben. Auch hier waren die Papageien klar im Nachteil. Verblüffend war vor allem die Herangehensweise der Vögel an die Versuchsanordnung: "Die Raben waren nicht etwa durch Versuch und Irrtum erfolgreich, sondern betrachteten zuerst die Situation und entschieden sich dann für eine Lösung, die in den meisten Fällen auch erfolgreich war," meint Kotrschal.

Nicht nur zwischen Papageien und Raben, auch innerhalb der Rabenvögel schnitten die einzelnen Arten unterschiedlich gut ab. Dohlen etwa hätten die Aufgaben weniger erfolgreich gelöst wie die Kolkraben. "Dies bedeuten aber nicht, dass Kolkraben generell intelligenter sind. Es spricht vieles dafür, dass die Versuchsanordnungen ihren Fähigkeiten als Futterverstecker entgegen kamen ", vermutet der Verhaltensforscher.

Geistig noch viel begabter sind in diesem Zusammenhang die Häher. Laut Kotrschal würden sich Eichelhäher im Laufe ihres Lebens bis zu 30.000 Futterverstecke merken können. "Das übertrifft die menschlichen Fähigkeiten um ein Vielfaches." Dabei dürfte auch die Qualität der versteckten Nahrung eine Rolle spielen. Je lieber sie eine bestimmte Futtersorte hätten, umso besser würden sich die Eichelhäher die entsprechenden Lager merken, so Kotrschal.

"All das zeigt, dass die verschiedenen Vogelarten ihre Intelligenz ganz unterschiedlich einsetzen. Ihre Strategien sind von Lebensraum, Umwelt und der Art der Fressfeinde abhängig.", meint der Wissenschafter. Die evolutionären Grundlagen hätten demnach bei den einzelnen Vogelarten unabhängig voneinander zur Entwicklung von Intelligenz geführt. Welche Bedingungen generell zu Herausbildung von geistigen Spitzenleistern führen, sei vorerst noch unklar. Fest stehe allerdings, dass es sich um einen hohen Grad von Anpassung handelt, der in engem Zusammenhang mit einem regen Sozialleben steht.

Intelligenz mit Halbwertszeit

Was die Entwicklung von Intelligenz betrifft stehen einander derzeit zwei Theorien gegenüber: Die Adaptivitätstheorie geht davon aus, dass jede Art sehr spezifische Intelligenzleistungen entwickelt; die General-Intelligence-Hypothese besagt, dass der evolutionäre Druck, der zur Entwicklung von höherer Intelligenz führte, eine Art genereller Intelligenz hervorbrachte. Kotrschal, Schloegl und ihr Team tendieren eher zur speziellen Anpassungstheorie.

Die aktuellen Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass die Natur bereits in der Vergangenheit geistige Spitzenleister hervorgebracht hat. "Es spricht nichts dagegen, dass es auch unter den Dinosauriern einzelne Arten mit hohen kognitiven Fähigkeiten gab. Wie man am Beispiel der Vögel sieht, spielt die Gehirngröße für sich allein keine so große Rolle.", meint Kotrschal. "Allerdings weist dieser hohe Spezialisierungsgrad eher darauf hin, dass hohe Intelligenz eine Eigenschaft mit vergleichsweise geringer Halbwertszeit ist." (Thomas Bergmayr, derStandard.at, 22. April 2009)