Häufig diskriminiert, wenig Aussicht auf Gegenwehr: Viele Einwanderer in der EU - hier eine Afrikanerin in Paris - sehen ihre Lage kritisch

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Wien/Brüssel - Das Ausmaß des Problems überraschte sogar die Experten selbst, die an dem ersten „European Union Minorities and Discrimination Survey" (EU-Midis) mitwirkten. „Dass es in allen EU-Staaten bei rassistisch motivierten Übergriffen eine Dunkelziffer gibt, weil vieles nicht angezeigt wird, war uns vorher klar. Aber die Ergebnisse sind schon erschreckend", sagt Joanna Goodey, Leiterin der Abteilung Freiheiten und justizielle Rechte bei der in Wien angesiedelten EU-Grundrechtsagentur (FRA), zum Standard. 

Diskriminierung wird meist nicht gemeldet

„Besorgniserregend", so Goodey, sei dabei nicht nur, dass unter Zuwanderern und Angehörigen ethnischer Minderheiten EU-weit 55 Prozent der Meinung sind, in dem Land, in dem sie leben, sei Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft weit verbreitet. Sondern auch, dass von jenen 37 Prozent der Befragten, die angaben, im vergangenen Jahr persönlich diskriminiert worden zu sein, 82 Prozent sagten, sie hätten diesen Vorfall nicht gemeldet. 

Meldung wäre sinnlos

Der überwiegende Teil dieser Verschweiger meinte, eine Meldung wäre sinnlos gewesen (64 Prozent), oder sie hätten von keiner Stelle gewusst, die sie beraten oder unterstützen würde (80 Prozent). Das lasse auf gesellschaftliche Defizite schließen, meint Goodey: „Wenn gefordert wird, dass sich Einwanderer integrieren sollen, müssen die Staaten und Aufnahmegesellschaften ihrerseits ihre Aufgaben beim Schutz vor Rassismus erfüllen."

Rassistische Erfahrungen mit der Polizei

Die am Mittwoch in Brüssel präsentierte Midis-Studie wurde zwischen 2006 und 2008 in allen 27 EU-Mitgliedstaaten vom Meinungsforschungsinstitut Gallup durchgeführt. 23.500 Migranten und Angehörige ethnischer Minderheiten sowie 5000 Vertreter der Mehrheitsgesellschaft in zehn Ländern wurden interviewt. Der Fragebogen erfasste Diskriminierung bei der Arbeitssuche und am Arbeitsplatz, am Wohnungsmarkt, im Sozialsystem, in Schulen, bei Banken, in Geschäften sowie in der Gastronomie. Auch nach rassistischen Erfahrungen mit der Polizei wurde gefragt. Der diesbezügliche Detailbericht wird eine von acht weiteren Expertisen sein, die die Grundrechtsagentur bis Ende 2009 veröffentlichen will. 

Lage von Türken und Ex-Jugoslawen in Österreich

In Österreich wurde die Lage von Türken und Ex-Jugoslawen untersucht. 32 Prozent der Türken und 17 Prozent der Ex-Jugoslawen gaben an, dass Rassismus an der Tagesordnung sei. Im Vergleich zu den Aussagen von Nordafrikanern und Roma - zu den Roma wurde ein eigener Bericht präsentiert - ist das wenig. 94 Prozent der italienischen Nordafrikaner und 90 Prozent der magyarischen Roma sprachen von weit verbreiteten Ressentiments. (Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe 23.4.2009)