Joanna Goodey von der EU-Grundrechtsagentur hat die neue Midis-Studie über Rassismus und Diskriminierungserfahrungen von Einwanderern koordiniert. Dass Betroffene so wenig Möglichkeit zur Gegenwehr hätten, mache ihr Sorgen, sagte sie zu Irene Brickner

Standard: Laut der am Mittwoch veröffentlichten Midis-Studie der EU-Grundrechtsagentur sehen 94 Prozent aller Nordafrikaner in Italien und 88 Prozent aller Nordafrikaner in Frankreich sowie 90 Prozent aller Roma in Ungarn und 83 Prozent aller Roma in Tschechien Rassismus in ihrem Land als weit verbreitet an. Hat Sie das Ausmaß des Problems überrascht?
Goodey: Obwohl ich und meine Kollegen uns schon vor den Befragungen im Klaren waren, dass es bei rassistisch motivierten Übergriffen eine Dunkelziffer gibt, waren diese Ergebnisse dann für uns doch alarmierend. Besorgniserregend finde ich aber nicht nur, dass viele Betroffene Rassismus in ihrem Land als sozusagen normal einschätzen, sondern auch, dass sie persönlich erlebte Übergriffe nicht melden, weil sie nicht wissen, wo sie sich zu diesem Zweck hinwenden könnten.

Standard: Was sagt dieses Nichtwissen über die betroffene Gesellschaft aus?
Goodey: Es sagt einiges über den Integrationsdiskurs aus. Etwa, dass die Forderung an die Migranten, sich an die Bedingungen in der Aufnahmegesellschaft anzupassen, nur Aussicht auf Erfolg hat, wenn der Staat und die Aufnahmegesellschaft ihrerseits ihre Aufgaben erfüllen. Nämlich indem für funktionierende Beschwerdemöglichkeiten und Mechanismen gegen rassistische Übergriffe gesorgt wird. Es muss eine Atmosphäre herrschen, in der Migranten die Möglichkeit zur Gegenwehr eingeräumt wird.

Standard: Über Probleme bei der Integration von Zuwanderern wurde EU-weit bereits breit diskutiert. Nun ist die Midis-Studie die erste ihrer Art, also fehlten bisher offenbar valide und vergleichbare Daten. Haben sich die Europäer beim Thema Rassismus bis dato blind vorangetastet?
Goodey: Generell kann man sagen, dass viele Mitgliedsstaaten zu wenig über die Lage ihrer Migranten wissen, um politisch wirksame Maßnahmen zu setzen. Positive Ausnahmen sind Großbritannien und die Niederlande, die regelmäßig Daten über die Situation ihrer ethnischen Minderheiten erheben.

Standard: Wie ist das in Österreich?
Goodey: Hier kommt es sehr darauf an, um welche Bereiche es geht. Bei rassistischen Übergriffen von Rechtsextremen etwa gibt es in Österreich viel Expertise, was rassistische Diskriminierung im Alltag angeht hingegen recht wenig. Auch NGOs wie etwa die Antirassismusgruppe Zara sammeln Daten und macht das sehr gut, aber diese Aufgabe müssten, das ist unsere Überzeugung, eigentlich die staatlichen Stellen mit ihren beachtlichen Ressourcen übernehmen.

Standard: In Österreich ist der Umgang mit Schwarzafrikanern konflikthaft, doch in Ihrem Bericht kommen Einwandergruppen erst vor, wenn die Gruppe mehr als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung umfasst. Fallen da möglicherweise nicht große Probleme mit kleinen Minderheiten unter den Tisch?
Goodey: Kann sein, aber es ging nicht anders - und zwar aus umfragetechnischen Gründen. Um eine repräsentative Zufallsstichprobe zu erhalten, muss man mit Einwanderern sprechen, die integriert in der Gesellschaft leben. Das setzt voraus, dass die Gruppe eine gewisse Größe hat. Wer in der österreichischen Gesamtgesellschaft integriert lebende afrikanische Einwanderer ausfindig machen will, sucht sozusagen die Nadel im Heuhaufen.

Standard: Einwanderer in der EU haben oftmals auch fremdenrechtliche Probleme. Die haben Sie nicht erhoben - warum?
Goodey: Weil es unmöglich ist, hier EU-weit vergleichbare Daten zu sammeln. Die jeweiligen Gesetzeslagen sind eben sehr komplex und unterschiedlich. Midis ist außerdem keine Studie über die Einwanderungspolitik. Uns geht es vielmehr um das Leben von Migranten in Europa. (Irene Brickner, derStandard.at, 23.4.2009)