Peking - China plant einen neuen großen Sprung nach vorn - diesmal in der Entwicklung seiner Atomkraft. Als Spätankömmling bei der Nutzung von Nuklearenergie bezieht die Volksrepublik erst 1,3 Prozent ihres Stromverbrauchs aus Kernkraft. 77,5 Prozent kommen noch von schmutzigen Kohlekraftwerken, 20 Prozent aus Wasserkraft und wenig aus erneuerbaren Energien wie Wind, Sonne oder Biogas.

Das soll sich nun ändern zugunsten der Atomenergie. "Wir stehen nicht nur vor einer globalen Renaissance der Atomkraft, sondern auch vor ihrem Aufschwung in China", sagte der Vizepräsident des China-Instituts für Atomenergie, Gu Zhongmao, auf einer Konferenz zur Zukunft der Atomenergie, die die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) in Peking veranstaltet hat. Atomexperte Gu rechnete Pekings Ausbauabsichten vor. Von derzeit 9,1 Gigawatt (GW) Leistung, die China mit seinen bisher elf Reaktoren erzielt, will das Land bis 2020 auf rund 70 Gigawatt springen.

Der Gesamtstromverbrauch Chinas würde im gleichen Zeitraum von 790 GW auf 1250 GW 2020 steigen. Gut fünf Prozent kämen dann aus Atomkraft. 2030 sollen es zehn Prozent sein.

Seit 2005 stellt China in seinem Energiemix die Weichen auf Nuklearstrom. Das ursprüngliche Ziel, bis 2020 vier Prozent Atomstrom anzupeilen, ist überholt. Anfang April sprach der Vizeminister der Nationalen Kommission für Entwicklung und Reform, Zhang Guobao, von einer "beschleunigten Entwicklung", bei der das Land 2020 auf "mehr als fünf Prozent" Atomstrom kommen soll. Sun Qin, Vizechef von Chinas Nationaler Energiebehörde (NEA) sagte, dass 24 neue Meiler mit einer Leistung von 25,4 GW bereits im Bau sind. Weitere 18 steckten in der Planungspipeline.

Pekings Staatsplaner spielen trotz des parallelen Baus so vieler AKWs, lückenhafter Kontrollsysteme und ungelöster Atommülllagerung alle Sicherheitsbedenken herunter. Um von der Kohle loszukommen, suchen sie zur Bekämpfung des Klimawandels ebenso wie der Folgen der Wirtschaftskrise ihr Heil im Neubau großer Wasser- und Atomkraftwerke.

Allein 2009 sollen etwa acht riesige Wasserbauprojekte starten, ebenso fünf AKWs in den Küstenregionen Zhejiang, Shandong, Guangdong und Hainan.

Peking hat am Sonntag in Zhejiang die erste Bauphase für sein Sanmen-Kernkraftwerk gestartet. Weltweit zum ersten Mal baut sich China mit der Technologie von Westinghouse einen Druckwasser-reaktor der dritten Generation (AP 1000) auf, der 2013 ans Netz gehen soll. Allein für diese erste Phase zahlt Peking 40 Mrd. Yuan (4,5 Mrd. Euro). China will vier derartige AP-1000-Meiler bauen. (Johnny Erling, Peking, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.4.2009)