Na also, der "Lehrerstreit" ist beigelegt, die Schlacht, die Österreich acht Wochen lang in Atem hielt, ist geschlagen. Die zur Geisterstunde, geschlossene Einigung ist zwar erbärmlich, aber was soll's, zur Zerreißprobe der Koalition ist es wenigstens nicht gekommen. Durch Taschenspielertricks lässt man es nun so aussehen, als würde die Bildungsministerin das Geld bekommen, das sie angeblich unbedingt braucht. Und den Schülern streicht man ein paar Ferientage. (Das hat keinen unmittelbaren pädagogischen Sinn, aber mittelbar doch einen pädagogischen Wert: Die schwarzen Schülervertreter, die sich so eilfertig mit den schwarzen Lehrervertretern solidarisiert haben, lernen was fürs Leben: Undank ist der Welten Lohn.)

Am Anfang stand: Claudia Schmied glaubte den Lehrern zumuten zu dürfen, dass sie innerhalb ihrer bezahlten vierzig Wochenstunden zwei Stunden länger als bisher in ihren Klassen zubringen sollten. Die Lehrergewerkschaft reagierte darauf mit einer für den unbefangenen Beobachter erstaunlichen Heftigkeit. Als ginge es um Leben oder Tod.

Als die Ministerin, schon kompromissbereit, meinte, die Lehrer/innen sollten doch wenigstens eine Stunde mehr unterrichten - und auch das nur auf zwei Jahre begrenzt, da hat der Beamtengewerkschaftsboss Fritz Neugebauer das so verstanden: "Sie hat gesagt: Springen S' nicht aus dem zweiten Stock, sondern aus dem ersten!" Bei Sprüngen - ob aus dem zweiten oder aus dem ersten Stock - kann man sich ernstlich verletzen, sogar ums Leben kommen. So ernst war also die Lage? Meinte Neugebauer, was er sagte? Natürlich nicht, er wäre sonst kein Politiker.

Dass auf den ersten Blick nicht erkennbar war, was die Lehrer wirklich wollen, mag auch daran liegen, dass in der aktuellen Debatte viel alter Frust mitspielte. Die Lehrer fühlen sich so missverstanden wie kaum eine andere Berufsgruppe. Zum Teil wohl zu recht. Man will der Schule alle Probleme aufhalsen, mit denen die Gesellschaft nicht zu Rande kommt, gleichzeitig aber unterstellt man den Lehrern, sie hätten ihren Beruf nur aus den beiden Gründen "Juli und August" ergriffen. Aber erklärt das allein schon das merkwürdige Schauspiel, das vor unser aller Augen und Ohren ablief?

Einen Nebenaspekt des Themas hat in einem wenig beachteten Kommentar eine Dame aufgezeigt, der wir etliche Jahre Stillstand in der Bildungspolitik und die Entdemokratisierung der Universitäten zu verdanken haben, Liesl Gehrer nämlich. Sie hat zu bedenken gegeben: Wenn Schmied sich durchsetze, fielen für die Lehrer Überstunden weg - und das hieße: weniger Geld. Dass das nicht der ausschlaggebende Grund für das rigorose Njet der Gewerkschafter war, lässt sich nun daran erkennen, dass sie der Streichung einiger Zulagen zugestimmt haben. Was aber war dann der "Knackpunkt"?.

Dass sie mit ihrer Verhandlungsstrategie das Ansehen ihrer Klientel massiv beschädigt haben, kann ihnen wohl nicht entgangen sein. Schlechter war das Lehrerimage vermutlich noch nie. Warum also haben die Gewerkschafter das in Kauf genommen?

Man musste sehr genau hinhören, um zu erahnen, worum es den Lehrern und ihren Standesvertretern vermutlich in erster Linie ging. Zwei Stunden länger in der Klasse, darin sah man offenbar nur einen ersten Schritt in jene Richtung, in die man auf gar keinen Fall zu gehen bereit ist: Dass man nämlich am Ende alle vierzig Wochenstunden in der Schule zu verbringen hat - eine durchaus nicht unberechtigte Befürchtung, hat doch die Ministerin hat erkennen lassen, dass sie den Lehrerberuf für einen Beruf wie jeden anderen hält. Und dass sie eine Anhängerin der Gesamtschule und der Ganztagsschule ist, das ist ohnehin bekannt. Wehret also den Anfängen!

Zu den Besonderheiten des Lehrerberufes gehört es, dass nur ein Teil (in der Regel etwas mehr als die Hälfte) der Arbeit zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort zu leisten ist. Das Unterrichten ist nur ein Teil der bezahlten Tätigkeit der Lehrer - so wie bei den Richtern das Führen von Verhandlungen nur ein Teil ihrer Arbeit ist, diese aber müssen den übrigen Teil in aller Regel im Gerichtsgebäude leisten. Lehrer hingegen erledigen fast alles, was nicht Unterricht ist, zu Hause und können dabei in ziemlich weitem Rahmen bestimmen, wann sie was erledigen. Und auch wie gründlich sie sich etwa auf den Unterricht vorbereiten, bestimmen sie weitgehend selbst.

Man hört das Wort nicht gern, aber das ist natürlich ein Privileg, und dieses sei den Lehrern - ohne jede Ironie - von Herzen gegönnt. Ich bin für jeden froh, der wenigstens einen Teil seiner Erwerbsarbeit eigenverantwortlich gestalten kann.

Nur die Heuchler behaupten, sie würden freiwillig ihre Privilegien aufgeben, die es im übrigen in unterschiedlicher Form in vielen Berufsgruppen gibt. Ich weiß, wovon ich rede: Ich bin Ordinarius an einer österreichischen Universität, meine Kollegen und ich haben bestimmte Privilegien; (für unsere Nachfolger sind sie allerdings schon abgeschafft); Spitzensportler erfreuen sich des Privilegs eines verminderten Einkommensteuersatzes; die "Gruppenbesteuerung" für international tätige Unternehmen ist ein gewaltiges Privileg etc. etc. Möge ein jeder - ich bin unbedingt dafür - für seine speziellen Privilegien kämpfen. Das muss man genauso dürfen, wie es anderen gestattet sein muss, diese Privilegien in Frage zu stellen.

Nur: In dieser unserer so sehr von Neid geprägten Gesellschaft wagt es allerdings niemand zuzugeben, dass er für die Erhaltung seiner Privilegien kämpft. Und genau das ist für mich auch der wahre Grund, warum die Argumentation im "Lehrerstreit" so seltsam verschwurbelt klang.

Mag sein, ich irre mich, aber ich glaub's nicht, denn Folgendes spricht sehr für die Richtigkeit meiner Vermutung: Kaum je hat die Lehrergewerkschaft ernsthaft verlangt oder gar mit Kampfmaßnahmen durchzusetzen versucht, dass jede Lehrerin und jeder Lehrer in der Schule einen ordentlichen Arbeitsplatz haben müsse. Hätte er/sie einen, man hätte kein Argument mehr, warum er/sie sich nicht vierzig Stunden in der Woche in der Schule aufhalten soll. (Walter Wippersberg/DER STANDARD-Printausgabe, 23. April 2009)