Nicht nur SS-Reichsführer Heinrich Himmler machte Salzburg und Umgebung zum "zweiten Zentrum" des nationalsozialistischen Regimes.

Coverfoto: Czernin Verlag

Salzburg - Festung Hohensalzburg, Festspielhaus, Villa Trapp - drei Fixpunkte für viele Salzburg-Touristen. Ein neu erschienener Reiseführer beleuchtet diese Destinationen aus einem anderen Blickwinkel: Auf 280 Seiten erzählt das Werk namens "Im Schatten der Mozartkugel" (Czernin Verlag, 19,80 Euro) die oft verdrängte Geschichte von 61 Orten in Salzburg und Umgebung während der Zeit des Nationalsozialismus.

"Burg der Getreuen"

Über die Festung Hohensalzburg erfährt der Leser etwa, dass sie ab 1938 "Burg der Getreuen" hieß, weil dort nach dem gescheiterten nationalsozialistischen Putschversuch im Juli 1934 eine Anzahl von Putschisten gefangen gehalten worden waren. Über die "Arisierung" der Salzburger Festspiele finden sich genauso Informationen wie über die Geschichte der Villa Trapp, in der ab 1940 SS-Reichsführer Heinrich Himmler den Holocaust plante. Neben der Stadt Salzburg deckt "Im Schatten der Mozartkugel" auch den Rest des Bundeslandes sowie die benachbarten Regionen Berchtesgadener Land, Chiemgau, Innviertel und Salzkammergut ab.

Geschrieben haben den Reiseführer, der neben den historischen Informationen auch Anreise-Infos und Hinweise zu Freizeit- und Besichtigungsmöglichkeiten in der jeweiligen Umgebung enthält, die Provenienzforscherin Susanne Rolinek von Salzburger Museum der Moderne und die beiden Journalisten Gerald Lehner und Christian Strasser. "Die Idee zu diesem Buch ist bei uns drei unabhängig voneinander entstanden", sagte Rolinek bei der Buchpräsentation Anfang April. Gerade in Salzburg werde über die NS-Zeit "sehr gerne nicht geredet". Wenn man Schauplätze direkt besuchen könne, sei "der Bezug ein ganz anderer".

Salzburg als "zweites Zentrum" der Nazis

Salzburg und Umgebung seien neben Berlin ein "zweites Zentrum" des "Dritten Reichs" gewesen, sagt Christian Strasser. Nicht nur Hitlers Wahlheimat Obersalzberg befinde sich in Sichtweite der Salzburger Festung; in Bischofwiesen habe es eine zweite Reichskanzlei gegeben, in Ainring den entsprechenden Flughafen, und in der Stadt Salzburg hätten sich Nazi-Granden Wohnsitze in beschlagnahmten und enteigneten Villen gesucht. Schlösser wie Leopoldskron und Kleßheim dienten der NS-Diktatur als Repräsentationsstätten für ausländische Staatsgäste.

Auch der Geschichte der missglückten "Entnazifizierung" nach dem Zweiten Weltkrieg sowie dem Umgang mit der Vergangenheit in der Nachkriegszeit widmet das Buch breiten Raum. Ein eigener Beitrag beschäftigt sich etwa mit dem 2002 eingeweihten Antifaschismus-Mahnmal am Südtiroler Platz vor dem Salzburger Hauptbahnhof. Mitautor Gerald Lehner bezeichnet es als "Taubenklo", das letztlich "nicht einmal eine Kranzabwurfstelle geworden" sei.

Auch Orte des Widerstands

Auch Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime wird in dem Buch verortet, zum Beispiel mit Beiträgen über die alte Halleiner Tabakfabrik, von der aus die Kommunistin Agnes Primocic mindestens 20 KZ-Häftlingen das Leben rettete. Auch die Ordensfrau Anna Bertha Königsegg, die sich dem "Euthanasie"-Programm der Nazis widersetzte, wird in dem Buch gewürdigt; ebenso jene Regimegegner und Deserteure, die sich 1944 am Goldegger Böndlsee ein Gefecht mit SS-Männern lieferten.

"Ganz klar Stellung beziehen"

Um das Buch nicht zu einem unkritischen Reisebegleiter für Neonazis und Ewiggestrige werden zu lassen, sei es unerlässlich, "ideologisch ganz klar Stellung zu beziehen", sagt Mitautor Christian Strasser. Das ist dem Autorenteam in jedem Fall gelungen; auch mit ihrer persönlichen Meinung halten sie nicht immer hinter dem Berg, etwa wenn Gerald Lehner die Architektur des zwischen 1938 und 1940 erbauten Bahnhofs von Berchtesgaden "zwischen Festungsbau, Almhütte und Plumpsklo" verortet.

"Vieles ist tragischerweise noch immer nicht aufgearbeitet", sagt Strasser - etwa wegen Archivsperren in ehemals kommunistischen Staaten. Dennoch stehe "in dem Buch auch Einiges drin, was bisher noch gar nicht bekannt war". Die erste Auflage des Bandes umfasst 3000 Stück, eine Übersetzung ins Englische ist geplant.

Weitere Ausgaben geplant

Auch weitere Ausgaben sollen kommen, sagt Rolinek: "Es soll für jedes Bundesland einen Reiseführer in dieser Art geben." Als nächstes könnten Tirol oder Wien an der Reihe sein. Für einige deutsche Städte wie Berlin, Hamburg, München oder Düsseldorf gibt es ähnliche Werke schon seit einigen Jahren. (Markus Peherstorfer, derStandard.at)