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Barack Obama an seinem Schreibtisch im Oval Office. Sein Vorgänger war zuletzt so beliebt wie Fußpilz, er sonnt sich mit seinem zugänglichen, kooperativen Stil in großer Zustimmung. In den Vereinigten Staaten und weltweit.

Foto: APA/EPA/Souza

Viele fragen, ob hinter der guten Stimmung, die der Präsident verbreitet, auch ein roter Faden ist. Wofür steht der "Obamaismus"?

Neulich bei Dave Letterman. Der Show-Meister der späten Stunde lässt Archivbilder einspielen, Bilder politischer Begegnungen. Erst Barack Obama, wie ihm der Venezolaner Hugo Chávez ein Buch schenkt, "Offene Adern Lateinamerikas", und er sich höflich dafür bedankt. Szenenwechsel, nun pirscht sich George W. Bush von hinten an eine illustre Tagungsrunde heran. Überfallartig gräbt er seine Hände in die Schultern Angela Merkels, und während er zu massieren beginnt, wirft die deutsche Kanzlerin ihre Arme in mehr oder minder gespieltem Entsetzen nach oben. "So hat Bush die Leute begrüßt", witzelt Letterman und schwenkt zurück zum Handshake mit Chávez. "Und so begrüßt sie Obama. Ach, man muss den Kerl einfach mögen."

Die Talkshowgrößen, die Pointenerzähler – noch immer definieren sie die Nummer 44 im Weißen Haus am liebsten über den Kontrast zum Vorgänger. Wohlwollend-ironisch feiern sie einen Präsidenten, für den man sich nicht mehr zu schämen braucht, der weder ausländischen Honoratioren die Schultern massiert noch mit der englischen Sprache auf Kriegsfuß steht. Oder etwa doch? Neulich horchten alle auf. Obama sagte der Piraterie den Kampf an, und statt von "piracy" sprach er von "privacy". Ein Fauxpas à la Bush? Nun ja, man hat ihm den Ausrutscher schnell verziehen. Der sonst so eloquente Redner packt so viele Dinge gleichzeitig an, dass man über kleine Versprecher schon mal hinwegsehen kann. "Aktivistisches Regieren an allen Fronten", schreibt der New Yorker, sei das Markenzeichen des Barack Obama.

Viele Bälle in der Luft

Er hat Bankenrettungspläne beschlossen, gegen konservativen Widerstand ein milliardenschweres Konjunkturpaket durchgesetzt und die Stammzellenforschung von Bush'schen Fesseln befreit. Er hat alternative Energien zur Priorität erklärt, beim Klimaschutz eine dramatische Wende vollzogen und die Pflege eines schwerkranken amerikanischen Patienten übernommen, der Autoindustrie Marke Detroit. Er hat Eisenbahnpläne für Hochgeschwindigkeitstrassen skizziert, krisenverzagten Landsleuten auf etlichen Town-Hall-Meetings Mut eingeimpft und weltpolitisch den Knopf mit der Aufschrift "Neustart" gedrückt.

Russland ist wieder Freund, Kuba nicht mehr Feind. Ob die Offensive des Lächelns in Richtung Iran Früchte trägt, bleibt abzuwarten. Noch im Mai sollen die Regierenden Ägyptens, Israels und des Rumpfstaates Palästina im Oval Office vorm Kamin sitzen. Es ist das erste Signal, dass Obama in Nahost wieder die Rolle des ehrlichen Maklers zu spielen gedenkt, nachdem Bush zumindest in sieben seiner acht Amtsjahre jegliche Vermittlerrolle aufgegeben hatte.

In einem Satz, in gut drei Monaten hat der Ex-Senator aus Chicago ein Programm absolviert, wie es andere nicht in drei Jahren schaffen. Übernimmt er sich? Verliert er den Überblick? "Nein", sagen 56 Prozent der Amerikaner und halten das Höllentempo für angemessen. "Obama hat Verhandlungen zu einem außergewöhnlich breiten Spektrum von Themen in Gang gebracht" , lobt sogar Henry Kissinger, der alte Stratege der realpolitischen Schule. Dämpfend, und ein wenig kryptisch, fügt er hinzu: "Jedes Thema birgt das Risiko, dass bloße Verhandlungstaktik die Substanz verzerrt." Dem Blitzstart müsse ein klarer Plan folgen, sonst drohe der Schwung des Neubeginns in Missverständnissen zu enden. Skeptiker bezweifeln, dass etwa im Atomstreit mit dem Iran schnelle Fortschritte möglich sind. Irgendwann, warnen sie, komme Obama an eine Wegscheide, wo der Charme des Wandels verpufft und nette Worte nicht weiterhelfen.

Populär wie Reagan

Mag sein, aber noch steht alles im Zeichen des Honeymoons. Folgt man den Demoskopen von Pew Research, dann finden fast drei Viertel der US-Bürger Gefallen an der Art, wie sich ihr Präsident gibt, rein persönlich. 63 Prozent glauben, dass er einen guten Job macht. Das sind deutlich höhere Zustimmungsraten, als sie Bill Clinton und die beiden Bushs, der Ältere wie der Jüngere, nach 100 Tagen aufweisen konnten. Ähnlich populär war zuletzt nur Ronald Reagan.

Aber was ist der rote Faden? Gibt es so etwas wie eine Obama-Doktrin? Die Bush-Doktrin war der präventive Militärschlag, das heißt, selbst dann anzugreifen, wenn auch nur der Verdacht einer Gefahr für die USA besteht. Der Nachfolger des Texaners hat, nicht zufällig nach dem Handschlag mit Chávez, laut nachgedacht, für welche Philosophie das Etikett "Obamaismus" eigentlich steht. Wollte man es auf einen Nenner bringen, sagte er, dann stehe es am ehesten für eine Einsicht. "Wir sind zwar die stärkste und reichste Nation der Erde. Aber wir sind nicht die einzige Nation." Eine gute Idee sei auch dann gut, wenn sie aus einem kleinen Land komme. Man müsse anderen zuhören können. Auch Hugo Chávez. (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 25.4.2009)