Schürt die Wirtschaftskrise in der demokratischen Welt nicht nur Angst, sondern auch Wut? In Frankreich, wo viele Fabriken schließen, erregt eine Welle von Geiselnahmen, begangen an Managern, die Gemüter.

Die Tatsache, dass in den USA hohe Prämien an Manager ausgezahlt werden, deren Firmen Milliarden Dollars an Steuergeldern erhalten, hat die öffentliche Meinung aufgestachelt. Der Volkszorn gehört zu den Folgen der Krise, die am ehesten vorhersehbar und unvermeidlich sind. Der einende Faktor hinter diesem wachsenden Zorn ist die Ablehnung von realer und wahrgenommener Ungleichheit - in der Behandlung und in den wirtschaftlichen Bedingungen. Im Sinne des Mottos der Französischen Republik, "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", wurde nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 das erste Prinzip, die Freiheit, zum Leitprinzip unseres Zeitalters, jetzt gewinnt angesichts einer stockenden Wirtschaft das zweite an Bedeutung.

Kann ein erneutes Streben nach Gleichheit die traditionelle Spaltung zwischen Amerika und Europa überwinden? Wird sich die geheime Hoffnung vieler Amerikaner, eines Tages auch reich zu werden, jetzt, da die Wirtschaft ihres Landes am Boden liegt, in einen europäischen Neid verwandeln?

Es wäre gefährlich für Amerika, wenn die Dinge so weit gehen würden. Amerika ist nicht Frankreich. Aber es scheint offensichtlich, dass eine zunehmende ökonomische Ungleichheit in den USA und im gesamten OECD-Raum die Wahrnehmung von Ungleichheit und einen wachsenden Ärger schürt.

Die Krise mag zwar den Wohlstand einiger der sehr Reichen ernsthaft gefährdet haben, indem sie Vermögenswerte in noch nie da gewesenem Ausmaß zerstörte. Aber die Angst und Verzweiflung der Armen und nicht so Armen haben sich erheblich verstärkt. Ein tiefes Gefühl der Ungerechtigkeit breitet sich in großen Teilen der Gesellschaft aus.

Dieses Gefühl wird in den USA zum Teil durch den "Obama-Faktor" aufgefangen, der als die Wiederherstellung von Vertrauen in die Politiker bezeichnet werden kann. Aber je mehr wir Politikern und der Politik misstrauen, desto mehr Wut wird sich auf unkontrollierbare Weise Bahn brechen, besonders, wenn ein Land traditionell und kulturell eine romantische Vorstellung von Revolution hat. Dies ist in Frankreich offensichtlich der Fall.

Die schwindende Popularität von Präsident Nicolas Sarkozy und seines "klassischen" Hauptgegners, der Sozialistischen Partei , begünstigt in Frankreich den Aufstieg der extremen Linken. In den USA ist das Gegenteil der Fall. Es ist möglich, wenn auch nicht gewiss, dass das, was US-Präsident Obama als einen Hoffnungsschimmer bezeichnet, in den USA ausreichen wird, um den Volkszorn im Zaum zu halten und das Vertrauen in Politik und Politiker wieder herzustellen.

Und die europäische Unzufriedenheit wird möglicherweise wachsen, unabhängig von dem, was in den USA geschieht. Der Aufschwung, wenn er kommt, wird wahrscheinlich in den USA beginnen, aber wahrscheinlich werden der geschärfte Sinn in der Bevölkerung für Ungerechtigkeit und die sich daraus ergebende Verbitterung die Politik in der westlichen Welt noch lange nach Überwindung der Krise vergiften. (© Project Syndicate, 2009. Aus dem Englischen von Eva Göllner-Breust; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25./26.4.2009)