Reverend Billy bei seiner Mission am Wiener Graben. Gegen Konsum-wahn, für ein besseres Leben.

Foto: Fischer

Krems/Wien - Einen Straßenprediger mit Elvis-Tolle glaubte man bislang nur im US-amerikanischen Süden nach einigen selbstgebrannten Spirituosen zu halluzinieren. Seit dem Wochenende aber weiß man: So einen gibt es wirklich. Und er ist nicht etwa bloß das Ergebnis übertriebener Geschwisterliebe aus den Sümpfen Alabamas, nein, er tritt mit seiner Vision von einer besseren Welt von New York aus an. Sein Name: Reverend Billy.

Dieser hat es mit seiner von der aktuellen globalen Krise bestätigten konsumkritischen Botschaft nun auch nach Österreich geschafft. Am Wochenende gastierte er mit dem Gospel-Chor der Church of Life After Shopping beim Donaufestival in Krems und missionierte tags darauf in Wien - passenderweise vorm Meinl am Graben.

In den USA, wo Kirchen wie hierzulande Vereine gegründet werden, ist der 59-jährige Bill Talen mit seiner Church ein Held der Globalisierungsgegner. Gleichermaßen fürchten Ketten wie Walmart oder Starbucks seine aktionistischen Auftritte. Für Starbucks-Angestellte in den USA führt das Verhaltensregelblatt sogar einen Punkt an, der lautet: "What should I do when Reverend Billy is in my store?"

Am 1. März gab Billy seine von der Green Party unterstützte Kandidatur als New Yorker Bürgermeister bekannt, woraufhin sogar die Financial Times dem Wirken des Reverends Platz einräumte.

Angelehnt an Gospel-Schemata wie Call-and-Response-Gesang beschritt Reverend Billy in Krems nach einer Aufwärmrunde vor dem Saal die Bühne, um als Don Quijote mit acht Sancho Pansas seine Kunde mit obsessiver Überzeugung und herrlicher selbstironischer Showman-Klasse zu verbreiten. "Your Neighbourhood is not for sale!", "Democracy is not for sale!", "Justice is note for sale!", lauteten einige Refrains, die zu Klavierbegleitung vom Chor geschmettert wurden.

Es kam zu einem Exorzismus an einer Kreditkarte, deren negative Kraft den Reverend buchstäblich zu Boden zwang. Doch kein Gotteswerk ohne Wiederauferstehung - Billy siegte, der Chor jubilierte: "Halleluja!" oder - wie der Reverend sagte: "Peace-Allujah!"

Ein fantastischer Auftritt mit verwegenen Tanzschritten und gleichzeitig ein Höhepunkt des Donaufestivals in Krems, dessen Tchibo-Filiale früh am nächsten Morgen Billy-Besuch bekam. Ernsthafte Kritik und Entertainment als Gratwanderung - Reverend Billy weiß, wie das geht.

Wenig später kam es in der großen Halle zum zweiten Höhepunkt. Die britische Band Spiritualized betrat den mittels Trockeneisnebel bestens eingerauchten Saal, um die flehende Erlösungslyrik ihres Masterminds Jason Pierce zu präsentieren. In zuckendem Stroboskoplicht, im Nebel, zu den Engelsstimmen zweier Gospelsängerinnen, errichtete Pierce kathedralische Sounds: Riffs wie Türme, Melodien wie Absolutionen und eine Lautstärke, die dieser Messe angemessen war.

"Come Together"

Spiritualized boten einen Querschnitt aus Pierces Gesamtwerk, das mit der Band Spacemen 3 in den 1980ern begann, als man mit zwei Gitarren, ebenso vielen Akkorden, Schlagzeug und bald auch Orgel monomanisch dröhnende Drogengebete vertonte: Von Walkin' With Jesus über ein gewaltiges Come Together von MC5 über Aktuelles wie Soul On Fire bis hin zu Elvis führte die Reise, die mit dem Gospel Amazing Grace begann.

In all dem Lärm, den Bergen und Wolken des Wahnsinns, reichte Pierce immer auch verletzliche Kleinode, sang von drogeninduzierten Hurricanes in seinen Venen, um uns Trockenschwimmern anschließend vorzuspielen, wie sich das anfühlen muss. Ein Gottesdienst der etwas anderen Sorte, und schon jetzt ein Konzert des Jahres. Im Anschluss: offene Münder, glänzende Augen - und ordentlich Ohrensausen! (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 26.04.2009)