Zur Person

Peter F. Schmid (59) hat Theologie studiert und eine Ausbildung zum Psychotherapeuten absolviert. Heute ist er Leiter des Studiengangs Personzentrierte Psychotherapiewissenschaften an der Sigmund-Freud-Privatuniversität, Ausbilder des Instituts für Personzentrierte Studien (IPS der APG) und hat eine Praxis in Wien.

Foto: Standard/Christian Fischer

STANDARD: Was unterscheidet die Personzentrierte Psychotherapie von der Tiefenpsychoanalyse eines Sigmund Freud?

Schmid: Der Personzentrierten Psychotherapie liegt die Idee zugrunde, dass der Mensch imstande ist, sein Leben aus eigenen Ressourcen selbstbestimmt und frei zu gestalten. Dafür braucht er aber Beziehungen, in denen er sich verstanden und geschätzt fühlt.

STANDARD: Das hängt aber meist vom sozialen Umfeld ab?

Schmid: Natürlich. Wenn ein Leben ohne Probleme verläuft, erfährt der Mensch von Anfang an Liebe und Zuwendung. Wenn das nicht passiert, wird er immer das innere Bedürfnis haben, Liebe, Zuwendung und Wertschätzung bei Menschen in seiner Umgebung zu finden. Wo das nicht reicht, kann Psychotherapie helfen, indem sie selbst eine solche Beziehung anbietet.

STANDARD: Wie kann ein Therapeut bei der Suche nach Zuwendung helfen?

Schmid: Das Entscheidende für Therapeuten ist die Empathie, also die Fähigkeit, sich in einen anderen Menschen hineinversetzen zu können. In der Personzentrierten Psychotherapie versuche ich mich in den Klienten hineinzuversetzen, versuche ich, den Klienten aus seinem eigenen Erleben heraus zu verstehen, und helfe ihm dadurch, sich selbst besser zu begreifen. Wertschätzung ist der Schlüssel, und deshalb unterscheidet sich die Therapie auch nicht von anderen zwischenmenschlichen Beziehungen. Es ist ein dialogischer Prozess.

STANDARD: Der Therapeut als Freund?

Schmid: Nein, denn Freunde haben wechselseitige Interessen, einmal geht es um den einen, ein andermal um den anderen. In der Therapie sind meine Interessen durch Bezahlung abgedeckt, die Beziehung ist so ganz für den Klienten da.

STANDARD: Lässt sich Beziehungsfähigkeit lernen?

Schmid: Ja, und die Notwendigkeit, in Beziehungen voneinander zu lernen, kennt jeder, der in einer Partnerschaft lebt. Es geht um die Fähigkeit, sich in Beziehungen entwickeln zu können, und zwar zusammen mit einem anderen. Auch ich als Therapeut lasse mich in der Therapie ja auf eine Beziehung ein und muss mich weiterentwickeln.

STANDARD: Wie ist die Methode?

Schmid: Die klassische Psychoanalyse arbeitet mit Übertragungsbeziehungen. Das heißt: Der Psychotherapeut steht für die Zuschreibung von Rollen und Personen aus dem Leben des Klienten zur Verfügung. Er selbst hält sich als Person dabei aber heraus, denn nur so kann dieser Vorgang auch funktionieren. Wir Personzentrierte Therapeuten lassen uns in einer realen Beziehung als die Menschen, die wir sind, auf den Klienten ein. So findet eine lebendige Begegnung statt.

STANDARD: Mit besseren Resultaten?

Schmid: Darum geht es nicht. Wir gehen von einem unterschiedlichen Menschenbild aus. Die Tiefenpsychologie sieht den Menschen als ein vom Unbewussten bestimmtes Wesen, aus unserer Sicht ist der Mensch frei für eigenverantwortliche Entscheidungen.

STANDARD: Gibt es dann das Unbewusste?

Schmid: Das Unbewusste ist eine Annahme, die Frage ist, welche Bedeutung man ihm in der Therapie beimisst. Auch in einer Personzentrierten Therapie können Erlebnisse aus der Vergangenheit Gegenstand eines Gesprächs sein, aber es hängt vom Klienten ab, ob er Erlebnisse aus seiner Vergangenheit thematisieren will. Ich dränge ihn nicht dazu, vielmehr denke ich, dass in einer Atmosphäre der Wertschätzung auch die Angst geringer wird, Menschen sich öffnen können und auf diese Weise sich auch mit früheren Erfahrungen auseinandersetzen können.

STANDARD: Glaubt die Personzentrierte Psychotherapie an die Prägung in der Kindheit?

Schmid: Natürlich sind Kindheitserfahrungen wichtig, aber nicht ausschließlich. Die klassische Psychoanalyse geht davon aus, dass die Vergangenheit bestimmend ist. Es könnte doch aber auch so sein, dass Menschen zumindest ebenso durch die Zukunft, durch ihre Wünsche und Befürchtungen bestimmt werden. Ich kann die Vergangenheit durch meine Zukunftswünsche lösen und meine Zukunft über die Vergangenheit. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Der Mensch ist mehr als seine Kindheit.

STANDARD: Was ist die unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie?

Schmid: Die Beziehung zwischen Therapeut und Klient ist die Basis und der Gegenpol zur fehlenden Zuwendung, die Klienten im Laufe ihres Lebens erfahren haben und die zu Störungen geführt haben. Empathie, Wertschätzung und Authentizität sind die Grundpfeiler.

STANDARD: Haben Sie ein Beispiel?

Schmid: Wenn Eltern ihr Kind nicht wertschätzen, immer wenn es aggressiv ist und Durchsetzungsimpulse zeigt, wird das Kind aggressive Impulse als etwas Ablehnenswertes erfahren. Dabei kann Aggression ja auch positiv gesehen werden, wenn es darum geht, Beziehungen aufzubauen, Probleme anzupacken oder Ziele zu verwirklichen. Ein anderes Beispiel, das weit verbreitet ist, ist der Leistungsdruck, also Eltern, die von ihren Kindern gute Noten fordern und ihnen zu verstehen geben, dass sie sie nur dann lieben, wenn sie erwartete Leistungen bringen. Dieses Leistungsdenken kann sich im späteren Leben problematisch auswirken, wenn dann der eigene Wert auch nur an Leistung bemessen wird und beispielsweise Sex zum Leistungssport wird.

STANDARD: Was ist eine erfolgreiche Therapie, und wie lange dauert sie?

Schmid: Die Dauer ist ganz unterschiedlich. Erfolgreich ist eine Therapie dann, wenn der Klient das Selbstvertrauen gefunden hat, von seinen vielfältigen Möglichkeiten Gebrauch zu machen und die Gestaltung seines Lebens wieder selbst in die Hand nimmt. So kommt die natürliche Entwicklung in Gang. Es ist ein emanzipatorischer Prozess. (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 27.4.2009)