
Bob Dylan versucht sich im Alter als großer alter Mann und Gralshüter der US-amerikanischen Musikgeschichte.
Es wird dunkler, aber finster ist es noch nicht ganz.
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Ob das sehr gescheit ist? Und ob "gescheit" in diesem reichen und überbordenden Lebenswerk voller Irrungen und Wirrungen und Visionen und Zusammenbrüche noch eine Kategorie darstellt, ist eine Frage des Geschmacks. Immerhin kann man im Falle des Alten aus Amerika ja auch sehr gern zwischen spitzbübischer und altersstarrsinniger Haltung wählen. Anlässlich der angekündigten Präsentation des neuesten Albums von Bob Dylan wurde jetzt jedenfalls die halbe europäische Musikpresse für ein exklusives Konzert im intimen Rahmen eingeflogen. Es galt die zehn Songs von Together Through Life zu präsentieren.
Mit dem intimen Rahmen im Londoner Roundhouse in Camden Town ist es aber so eine Sache. Immerhin handelt es sich um eine 3000er-Halle, die aufgrund ihrer Rundsäulenkonstruktion nur sehr beschränkte Sicht auf den heute nur 20 und nicht wie üblich 40 Meter entfernten Meister gewährt.
Nicht so wichtig. Bob Dylan scheint sich mit seiner in den letzten Jahren bewährten Tourband sichtlich gut gelaunt und mit elastischen Beinen ohnehin lieber der Verfeinerung des Repertoires als der Nachwuchspflege frischer Songs zu widmen. Leopard-Skin Pill-Box Hat, Don't Think Twice, It's All Right und Tangled Up In Blue, allesamt geschrieben zu einer Zeit, als die in London vertretene österreichische Presseabordnung gerade von Flüssig- auf Festnahrung umgestellt wurde, eröffnen das Konzert.
In ihrer heutigen Mischung aus unwirschem, im Zwölftaktschema nach Chicago weisenden Altmännerblues mit Rückenbeschwerden und Gicht in den Gelenken und gemütlich rumpeligen Sichtungen einstiger Tanzvergnügen der armen weißen Leute im US-Süden zwischen brustschwachem Walzer und Tex-Mex-Bierseligkeit weist Dylan zumindest indirekt darauf hin, was in London nicht direkt verhandelt werden wird. Neue Lieder werden an diesem Präsentationsabend nicht gespielt werden.
Nach seiner künstlerisch möglicherweise letzten großen Comeback-Arbeit Time Out Of Mind aus dem Jahr 1997 leitete er 2001 mit Love & Theft und zuletzt 2006 mit Modern Times eine Phase ein, in der der Künstler zunehmend hinter seine Stoffe zurücktritt. Dylan beschäftigt sich, so wie in seiner Anfangszeit als junger Stürmer und Dränger, mit entpersonalisierten amerikanischen Volksmusiken. Diese kennen zwar eine Autorensprache. Individuelle Befindlichkeiten werden allerdings immer nur als kollektives Schicksal außerhalb jeder Tagesaktualität interpretiert. Einziger Fluchtpunkt: die Straße ins Anderswo, dorthin, wo die Gesetzlosen und Unbehausten einsam den Mond anheulen.
Die Sonne versinkt
Die knarrende, abgewohnte Stimme etwa, die auf Together Through Life über dem Akkordeon von David Hidalgo von der legendären US-Roots-Rock-Band Los Lobos zu schlurfendem Beserlschlagzeug einem unbekannten Gegenüber If You Ever Go To Houston ins Ohr raunt, erzählt gebrochen und zeitlos über den Dingen stehend vom Mexikanisch-Amerikanischen Grenzkrieg Mitte des 19. Jahrhunderts. Den koppelt der anonyme Erzähler mit einer sehr modern verlorengegangenen Liebe am Highway im Magnolia Motel.
Die Liebe und das damit verbundene Unglück bilden überhaupt das Generalthema von Together Through Life: "I just wanna say that hell is my wife's home town" , heißt es in einem anderen Stück, dessen Musik Dylan sich offiziell von Blues-Altmeister Willie Dixon ausborgte. In einem anderen, dem mexikanischen Trauerfach zugeordneten Stück ist von vergesslichen Herzen die Rede, vom Klang des Schmerzes. Das Leben ohne die Geliebte ist hart. Man fühlt sich nicht wohl, man fühlt gar nichts. Einsam durchstreift man die Straßen, die Sonne versinkt. Zeit zu gehen.
Die Texte hob Dylan dieses Mal nicht allein aus dem unerschöpflichen Fundus des Great American Songbook. Zur Seite stand ihm bei der durchaus ironisch gebrochenen Bearbeitung von in der Popkultur längst zu Allzweckschablonen erstarrten Bildern der Grateful-Dead-Lyriker Robert Hunter. Hunter machte sich zuletzt einen Namen als Übersetzer der Duineser Elegien von Rilke ins Amerikanische. Er gilt in literarischen Fachkreisen als Kapazunder.
Im Londoner Roundhouse läuft inzwischen alles wie am Schnürchen, der Alte wagt hinter seinem Keyboard einige Tanzschritte und schickt gelegentlich Dissonanzen bringenden Wind durch die Mundharmonika. Man wuchtet sich durch Blues (Rollin' and Tumblin' oder High Water (For Charley Patton)), Blues (Ain't Talkin'), aber auch nahe am Blues angesiedelte Rock-'n'-Roll-Hadern wie Highway 61 Revisited oder Tweedle Dee & Tweedle Dum.
Freude wie am ersten Tag
Das Publikum außerhalb des harten Kerns der Dylan auf seinen Konzertreisen durch Länder und Zeiten noch dazu rein physisch folgenden Jünger nimmt bei neueren Stücken wie Sugar Baby, Summer Days oder Tryin' To Get To Heaven die Gelegenheit wahr, mit den Sitznachbarn zu plaudern. Es freut sich aber über Like A Rolling Stone und All Along The Watchtower oder Blowin' In The Wind genauso wie am ersten Tag.
Nach zwei Stunden muss es genug sein. Das neue Album wurde sinn- und themengemäß präsentiert, ohne es konkret zu bemühen. Die Gläubigen sprechen von einem inspirierten, wenn auch in Sachen Programmierung eher nicht so außergewöhnlichen Konzert.
Dass Bob Dylan in den nächsten Jahren Zeit finden wird, Together Through Life seinem geneigten Publikum zumindest auszugsweise live vorzustellen, ist ohnehin klar. Inzwischen kann man die Texte zu Hause auswendig lernen, um sie zum richtigen Zeitpunkt erkennen zu können. Die zur Kenntlichkeit entstellte Version des 45 Jahre alten Songs I Don't Believe You (She Acts Like We Never Have Met) stellte für den Taufschein-Dylanologen eine Herausforderung dar. Bob Dylan ist und bleibt ein Lausejunge. (Christian Schachinger aus London, DER STANDARD/Printausgabe, 28.04.2009)