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Österreich ist das einzige Land in der EU, in dem Jugendliche ab 16 die Vertreter für das Europaparlament wählen dürfen.

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Jugendforscher Manfred Zentner: "Es fehlt an einer Informationsstrategie im politischen Bereich, für diejenigen, die den Ausbildungsplatz früher verlassen. Diese Jugendlichen verbinden kaum Positives mit der EU."

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"Es ist immer leichter, eine kritische Stimme hörbar zu machen", sagt Jugendkulturforscher Manfred Zentner. Deshalb werde es, ähnlich wie bei der Nationalratswahl, auch bei der EU-Wahl im Juni den "sogenannten rechten Parteien" wieder gelingen, die jungen WählerInnen zu mobilisieren. Warum die JungwählerInnen der EU gegenüber aber positiver eingestellt sind als ältere Generationen und was es den Jugendlichen bringt, dass sie in Österreich im Gegensatz zu allen anderen EU-Ländern schon ab 16 wählen dürfen, darüber sprach er mit derStandard.at. Die Fragen stellte Rosa Winkler-Hermaden.

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derStandard.at: Österreich ist das einzige Land, wo Jugendliche ab 16 bei der EU-Wahl wählen dürfen. Was haben die Jugendlichen davon?

Zentner: Es ist ein Zeichen dafür, dass man die Jugendlichen in Österreich ernster nimmt. Man gibt ihnen das Recht, dass sie ihre Stimme abgeben können. Aber das heißt nicht, dass die Jugendlichen in Österreich deshalb spüren, was auf EU-Ebene für sie passiert.

derStandard.at: Ist deswegen eine Distanz zur EU gegeben?

Zentner: Nein, aber es gibt eine Distanz zur Wahlmöglichkeit. Warum soll ich dort wählen, wenn ich gar nicht spüre, was für Auswirkungen das hat. Was tun die für mich?

derStandard.at: Heißt das, die Jugendlichen sind zu wenig über die EU aufgeklärt - oder tut die EU nichts für Jugendliche?

Zentner: Es wird schon etwas getan, aber es wird zu wenig vermittelt. Es geht über die klassischen Kanäle, die Jugendorganisationen. Es braucht aber auch andere, neue Medien, um an alle Jugendlichen ranzukommen. Bisher ist die Wahl nur in Nachrichtensendungen thematisiert worden und nirgends sonst und das ist für Jugendliche eindeutig zu wenig.

derStandard.at: Wie könnte so etwas in der Praxis aussehen?

Zentner: Das ist immer schwierig zu sagen. Man könnte zum Beispiel probieren, über Musiksender an Jugendliche heranzukommen. Man könnte die Information über GoTV oder über MTV bringen. Da muss man Sendungen auswählen, die für Jugendliche relevant sind und natürlich kann man auch die neuen Medien einsetzen. Man kann schauen, ob man über Facebook jemanden erreichen kann.

derStandard.at: Aber reicht es, dass Ernst Strasser oder Hannes Swoboda jetzt einen Account bei Facebook haben?

Zentner: Die haben dort nix verloren, die sind nicht realistisch, nicht authentisch, sondern eher aufgesetzt. Weil sie sich dort nur für den Wahlkampf registriert haben. Die Jugendlichen sind ja nicht dumm, die wissen ja, dass im seltensten Fall der EU-Abgeordnete persönlich die Mails beantwortet, sondern, dass das irgendwelche jungen Mitarbeiter tun.

derStandard.at: Kann man sagen, dass die Spitzenkandidaten nicht gerade diejenigen sind, die junge Leute ansprechen?

Zentner: Ich sehe niemanden, der jetzt speziell auf Jugendliche abgestimmt wäre. Egal, ob ich da an einen Mölzer, einen Stadler, eine Lunacek, einen Strasser oder einen Swoboda denke.

Die Erstwähler machen zwar höchstens drei Prozent aus, wenn die Wahlbeteiligung wirklich so gering ist wie vorausgesagt, wären die drei Prozent aber ein interessantes Potenzial. Da kann man sich wirklich vornehmen, "für die tu ich was".

derStandard.at: Auch weil die jungen Menschen laut Studien das Image der EU positiver als der Rest der Leute bewerten? Wieso ist das so?

Zentner: Das ist eine Aussage, die man immer wieder hört. Im großen Durchschnitt ist es relativ leicht da positiver eingestellt zu sein, weil das die Generation ist, die bereits erlebt hat, was die EU einem bringt - im Gegensatz zu vielen Erwachsenen.

Das liegt daran, dass es EU-Programme, Austausch-Programme gibt, die für die Jugendlichen annehmbar sind. Ob das jetzt "Jugend in Aktion" oder "Erasmus" ist - es wird mit der EU in Verbindung gebracht. Ich glaube, dass die wirklich motivierten EU-Befürworter im Alter zwischen 25 und 35 zu finden sind. Sie haben die Änderung, die da war, wirklich miterlebt - die Öffnung der Studienmöglichkeiten.

derStandard.at: Und auf diese Erfahrung kann die ältere Generation nicht zurückblicken?

Zentner: Bei den Älteren sehe ich eher das Problem, dass viele auch die Gefährdung, die durch die Öffnung eines Arbeitsmarktes entstehen kann, wahrnehmen. Die meisten Österreicher sehen die Chance für sich, ins Ausland zu gehen und dort zu arbeiten, nicht. Sie bleiben eher zuhause und fürchten sich davor, dass alle anderen Europäer jetzt plötzlich nach Österreich kommen.

derStandard.at: Gibt es Dinge, die auch die Jungen skeptisch sehen?

Zentner: Es gibt auch hier die Angst um den Arbeitsplatz. Und was auch immer genannt wird, ist die Angst vor dem Verlust der kulturellen Identität, den Verlust der Vielfalt. Es ist die Angst vorherrschend, es wird ein Einheitsbrei, obwohl es ja nicht stimmt.

derStandard.at: Wie kann man Jugendliche erreichen, die in einem Lehrberuf stehen und nicht die Möglichkeit haben, ein Erasmus-Jahr während des Studiums zu absolvieren?

Zentner: Es fehlt an einer Informationsstrategie im politischen Bereich, für diejenigen, die den Ausbildungsplatz früher verlassen. Diese Jugendlichen verbinden kaum Positives mit der EU. Die Möglichkeiten werden ihnen nicht deutlich genug klar gemacht. Es fehlen die Zugangsmöglichkeiten für Lehrlinge zu den guten EU-Programmen für Jugendliche. Dabei gibt es die Möglichkeiten für die Jungen, die eine Lehre abgeschlossen haben, in der EU Erfahrungen zu sammeln. Aber wenn man im Alter von 18 Jahren gerade einen Job gefunden hat - wer geht dann weg für drei Monate? Keiner. Da ist die wirtschaftliche Situation viel zu kritisch. Hier braucht es andere Zugangsmöglichkeiten.

derStandard.at: Nach der Nationalratswahl war das Entsetzen groß, dass die Jugendlichen sich stark den Rechtsparteien zugewandt haben. Glauben Sie, dass bei der EU-Wahl Ähnliches zu erwarten sein wird?

Zentner: Ja. So wie es jetzt ausschaut, werden die sogenannten rechten Parteien wieder die sein, die eher mit Symbolen arbeiten, die die Jugendlichen ansprechen. Das heißt, ihnen wird es gelingen, Themen, die für die Jugendlichen relevant sind, zu betonen und zu vermitteln. Es ist immer leichter, eine kritische Stimme hörbar zu machen, als eine zustimmende Stimme. Die geht immer unter. Es müsste gelingen, dass man die positiv eingestellten und diejenigen, denen die EU egal ist, informiert, was sie persönlich von der EU haben. Das gelingt zur Zeit sehr wenig. (derStandard.at, 29.4.2009)