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Gertrude Kubiena, Sinologin und Fachärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, betreibt seit 1972 Akupunktur. Seit 1987 ist sie Präsidentin der Medizinischen Gesellschaft für Chinesische Gesundheitspflege in Österreich. Kubiena organisiert die Postgraduate Lehrgänge für Chinesische Diagnostik und Arzneitherapie als Grundlage für das entsprechende Diplom der Österreichischen Ärztekammer und hat mehr als 20 Bücher veröffentlicht.

Foto: Gertrude Kubiena

derStandard.at: Die Chinesen lehnen Milch und Milchprodukte traditionell ab. Warum?

Kubiena: Weil Chinesen Milch nicht vertragen. Ihnen fehlt die Laktatdehydrogenase. Dieses Ferment sorgt dafür, dass die Milch im Organismus abgebaut und verwertet wird. Allerdings ist zeitgleich mit dem Fastfood-Einzug in China auch die Milch populär geworden. Eine Entwicklung die auch dazu geführt hat, dass es nun auch in China dicke Kinder gibt. Ich erinnere mich an meinem ersten Besuch in China 1986. Damals gab es in keinem Geschäft Milch oder Milchprodukte zu kaufen.

derStandard.at: Vertragen Europäer Milch besser?

Kubiena: Europäer besitzen zwar dieses Ferment, trotzdem vertragen nicht alle die Milch. Als Hals-Nasen-Ohren-Ärztin sehe ich viele Kindern mit Erkrankungen, die mit einem hohen Milchkonsum assoziiert sind. Ich denke da besonders an den Tubenkatarrh, ein Vorstufe oder Folge einer Mittelohrentzündung oder an Nasenpolypen. Die Chinesen sagen, die Ursache dafür ist eine Verschleimung. Ich bin kein absoluter Milchfeind, aber Kindern, die chronisch unter solchen Erkrankungen leiden, kann mit einer radikalen Reduktion der Milchprodukte, sehr geholfen sein.

derStandard.at: Was versteht man unter dieser Verschleimung?

Kubiena: Das was die Milch im Organismus bewirkt, ist tatsächlich eine vermehrte Schleimbildung. Die Kinder leiden beispielsweise unter chronischem Schnupfen, Bronchitis oder dem erwähnten Tubenkatarrh. Man kann hier im Mittelohr tatsächlich eine Verschleimung erkennen, die das Schwingen des Trommelfells beeinträchtigt. Ich empfehle dann auf jeden Fall den Konsum der Milchprodukte zu reduzieren.

derStandard.at: Westliche Ernährungswissenschafter empfehlen 2x täglich Milchprodukte zu konsumieren. Können sie sich dieser Empfehlung denn anschließen?

Kubiena: Offen gestanden: Nein. Es wird beispielsweise bei der Osteoporose empfohlen mindestens 100 Gramm Käse täglich zu essen. Wenn sie 100 Gramm Hartkäse am Tag essen, dann können sie sonst nichts mehr essen, weil Käse in diesen Mengen einfach wahnsinnig sättigend ist. Bei einer Osteoporoseneigung haben Milchprodukte sicher ihre Berechtigung. Da besteht gar kein Zweifel. Ich verteufle die Milch keineswegs, man muss halt nur wissen für wen ist sie gut und für wen nicht.

derStandard.at: Macht es einen Unterschied ob die Milch pasteurisiert ist oder frisch von der Kuh kommt?

Kubiena: Darüber habe ich mir noch nie den Kopf zerbrochen, ich vermute aber, dass die frische von der Kuh die bessere ist. Im Unterschied zur Milch von Schafen oder Ziegen wird die Milch der Kühe vom Menschen jedoch am schwersten verdaut.

derStandard.at: Die Empfehlung Milch bei Osteoporose zu trinken, kommt daher weil sie ein wichtiger Calciumlieferant ist. Woher beziehen denn die Chinesen diesen wichtigen Mineralstoff?

Kubiena: Die holen sich diese Mineralstoffe aus dem sonstigen Essen. Chinesen essen vor allem sehr viel grünes Gemüse und grünes Gemüse enthält Silicium. Dieser Stoff befähigt den Körper Mineralstoffe in die Knochen einzubauen.

derStandard.at: Das heißt auch ohne Milch lässt es sich gut leben. Es ist also kein lebensnotwendiges Lebensmittel?

Kubiena: Genau. Die Natur hat das gut vorgegeben. Die Kuhmilch enthält wachstumsfördernde Substanzen für das Kälbchen. Deshalb ist die Milch auch bei uns so beliebt, weil unsere Kinder gut gedeihen und groß und stark werden. Das Problem ist nur, dass die Milch nicht für alle Kinder gut ist. Manche kriegen eben diese Verschleimungssymptomatik.

derStandard.at: Verschleimt die Milch auch erwachsene Menschen?

Kubiena: Bei Erwachsenen kann noch etwas viel schlimmeres passieren. Wenn jemand zur Tumorbildung neigt oder vielleicht schon einen Tumor hat, dann fördert die Milch, wie beim Kind das Körperwachstum, das Wachstum des Tumors. Tumore sind in der chinesischen Medizin Schleim.

derStandard.at: Tut die Milch dem Organismus auch gutes?

Kubiena: Ja, wenn man Milch verträgt, dann wirkt sie tonisierend für das Qi und das Blut, befeuchtet de Körper und verbessert die Gleitfähigkeit im Darm.

derStandard.at: Würden sie generell vor der Konsumierung von Milchprodukten abraten?

Kubiena: Nein, das muss man individuell abstimmen und natürlich ist es unsinnig einem leidenschaftlichen Milchtrinker und Joghurtesser generell vom Konsum dieser Produkte abzuraten. Eine Reduzierung wäre aber Ziel führend.

derStandard.at: Viele Menschen, die besonders gesund leben wollen, ernähren sich fast ausschließlich von Joghurt und Rohkost. Was halten sie von dieser Kombination?

Kubiena: Aus chinesischer Sicht ist das so ziemlich das schlechteste, was man machen kann. Rohkost muss im Körper erst aufgeschlossen werden. Das braucht ungeheuer viel Energie. Die Transformation von Milchprodukten braucht ebenfalls viel Energie. Mit der Rohkostverdauung ist bereits viel Qi verbraucht, sodass für die Endtransformation der Milch nicht mehr genügend Kraft vorhanden ist. Dazu kommt, dass Rohkost und Milch in der Regel kalt konsumiert werden. Das belastet das metabolische System ebenfalls beträchtlich, weil der Körper die Nahrung erst auf Körpertemperatur erwärmen muss, bevor er irgendetwas damit anfangen kann. Ein masochistisches Verhalten um Körpergewicht zu verlieren, die mit Schleimbildung endet. (Regina Philipp, derStandard.at, 29.5.2009)