Bild nicht mehr verfügbar.

Read my lips: Die Website politifact beobachtet den neuen US-Präsidenten seit Tag eins seiner Amtszeit. Die Journalisten überprüfen die Umsetzung von 514 Wahlversprechen. Nach hundert Tagen war die erste Zwischenbilanz fällig: 27 wurden als gehalten gewertet, sechs als gebrochen.

Foto: AP Photo/Gerald Herbert

Lügen Politiker? Bricht Obama seine Wahlversprechen? Sind die Aussagen in Kettenmails korrekt? Die Website politfacts findet es raus. Und hat dafür den Pulitzer-Preis bekommen.

Über die ersten 100 Amtstage von Obama sagt Adair im Gespräch mit derStandard.at: "Er hat einen beachtlichen Start hingelegt und viel in der kurzen Zeit erreicht". Aber ihm stünden auch noch einige harte Brocken bevor: Höhere Besteuerung von Spitzenverdienern und die Umsetzung seiner Klimapolitik werden auf massiven Widerstand stoßen.

***

derStandard.at: Nach der politifacts-Bewertung macht sich Obama nach den ersten 100 Tagen im Amt nicht so schlecht. Er hat mehr Versprechen gehalten als gebrochen. Wo wird es für ihn schwierig werden?

Adair: Obama hat einen beachtlichen Start hingelegt und viel in der kurzen Zeit erreicht. Auf jedem der Themengebiete, die er im Wahlkampf forciert hat. Sein Erfolg spiegelt sich in den guten Umfragewerten wider. Aber natürlich steht Obama noch vor Herausforderungen. Einige seine Vorschläge werden höchstwahrscheinlich auf starken Widerstand stoßen. Der Plan, Einkommen von mehr als 200.000 Dollar im Jahr höher zu versteuern, wird bei den Republikanern auf Widerstand stoßen. Und gegen Obamas Idee ein Carbon-Handels-Systems zur Bekämpfung des Klimawandels einzuführen, wird die Energie-Industrie Sturm laufen.

derStandard.at: Wo ziehen Sie die Grenze zwischen einer Kompromisslösung und einem gebrochenen Versprechen?

Adair: Das ist schwierig. Wir werten ein Versprechen als Kompromiss, wenn Obama zumindest Teile seines Vorhabens durchsetzen konnte. Wenn er nichts erreicht, werten wir das Versprechen als gebrochen.

derStandard.at: Sind Sie manchmal selbst von den Ergebnissen ihrer Recherchen überrascht? Lügen die Politiker mehr als Sie es erwartet haben?

Adair: Ich hab es mir ungefähr so vorgestellt. Viele der Äußerungen sind auch richtig. Es ist beruhigend zu wissen, dass Politiker meistens die Wahrheit sagen. Aber einiges ist eben auch falsch oder übertrieben dargestellt. Aber solange Politiker lügen, hab ich meinen Job.

derStandard.at: In Zukunft wollen sie auch Aussagen von Talk-Show-Moderatoren und Kolumnisten überprüfen. Warum?

Adair: Weil sie ein wichtiger Bestandteil des politischen Diskurses in Amerika sind. Es soll auch eine eigene Seite für die Medien Fakten-Überprüfung geben.

derStandard.at: Wann ist die Idee für politifacts entstanden? War die Umsetzung schwierig?

Bill Adair: Die Idee entstand im Frühling im Jahr 2007. Damals habe ich überlegt, wie die Berichterstattung über den Präsidentschaftswahlkampf 2008 aussehen könnte. Während der beiden vergangenen Kampagnen habe ich sehr traditionell berichtet. Diesmal wollte ich etwas verändern. Ich wollte die Fakten überprüfen.

derStandard.at: Warum hatten Sie das Gefühl, dass die Überprüfung von Fakten besonders wichtig ist?

Adair: Die amerikanischen Bürger werden mit sehr viel Information bombardiert - besonders während eines Wahlkampfes. Und sie wissen nicht, ob diese Informationen wahr oder falsch sind. In der Vergangenheit haben die Medien es den Leuten selbst überlassen, herauszufinden ob diese Informationen korrekt sind. Wir denken, es ist die Aufgabe der Medien ist die Fakten zu überprüfen.

derStandard.at: Warum haben Sie sich entschieden, die Ergebnisse online zu veröffentlichen und nicht in der Printausgabe der St. Petersburg Times?

Adair: Es ging darum, ein bundesweites Publikum zu erreichen. Deswegen erschien es uns vernünftiger, die Ergebnisse online zu veröffentlichen. Aber es gab einige Artikel, die auch in der der St. Petersburg Times (eine Tageszeitung, die in St. Petersburg, Florida, herausgeben, und im Großraum Tampa verkauft wird, Anm.) erschienen sind. So hat auch unser lokales Publikum profitiert.

derStandard.at: Wie viele Menschen lesen politifacts?

Adair: Derzeit haben wir 40.000 Pageviews am Tag. Im September und Oktober vergangenen Jahres - also kurz vor den Wahlen - hatten wir bis zu 400.000 Zugriffe täglich. Genauso nach der Angelobung von Barack Obama im Jänner. Für eine politische Website mit einer Redaktion aus drei Journalisten ist das eine ganze Menge.

derStandard.at: Wie filtert die Redaktion die Versprechen, die dann überprüft werden?

Adair: Wir sehen uns Abschriften von Fernseh-Interviews, Reden und Presseerklärungen durch und suchen nach verifizierbaren Fakten. Wenn wir glauben, dass die Leute sich für eine bestimmte Sache interessieren, gehen wir ihr nach.

derStandard: Was würden Sie beispielsweise nicht überprüfen, weil sie es für uninteressant befinden?

Adair: Wenn es etwas Offensichtliches ist. Zum Beispiel: Das ist die schlimmste Wirtschaftskrise seit der Depression. Das überprüfen wir nicht. (Michaela Kampl, derStandard.at, 28.4.2009)