Die Musikkapelle hört auf zu spielen, der Sänger greift zum Mikrofon: "Frau Melek von der Liste Türk-Is", kündigt er an. Ab jetzt hat die energische Frau genau zehn Minuten Zeit, um ihre Anliegen bei den Hochzeitsgästen im Saal zu deponieren: Mehr Rechte für benachteiligte türkische Frauen, mehr Chancen für Teenager mit Hauptschul-Abschluss.
Wahlkampf im Trausaal
Vier türkische Trauungen pro Wochenende sind das Mindeste: Frau Es hat zurzeit
wohl mehr mit heiratenden Paaren zu tun als jeder Priester.
Steckfrisuren und ewige Treue sind dabei zweitrangig: Die 39-Jährige
ist auf Stimmenfang.
"Darf ich noch eins für meine Großmutter haben?", fragt eine Frau, die
gerade ein Flugblatt auf Türkisch entgegen genommen hat. Andere unterhalten sich zwar auf Türkisch mit Melek Es, verlangen aber nach
der deutschen Version des Handzettels. Rund 500 Werbefolder gehen bei jedem
Fest drauf. Melek Es lächelt zufrieden: Vor ihrer Kandidatur hätte sie
noch gezögert, zu sehr auf Frauenthemen zu setzen. „Bei manchen
türkischen Männern kommt das sicher nicht so gut an", sagt Es. Umso
besser gefalle es den Frauen.
Vier Listen
Als langjährige Grätzelmanagerin und Gebietsbetreuerin ist Melek Es in türkischen Communities keine Unbekannte. Ein Grund, um sich in letzter Sekunde doch noch zu entscheiden, es bei der Wiener AK-Wahl mit der neuen Liste "Türk-Is" zu versuchen. Mit Türk-Is sind es nun vier Migrantenlisten, die beim Rennen um AK-Mandate antreten. Bis auf die Liste „Bunte Demokratie für alle", die schon vor fünf Jahren kandidiert hat, sind es lauter türkischstämmig dominierte Listen.
"Da hättet ihr früher draufkommen können"
Begonnen hatte alles vor fünf Jahren, als es Nicht-ÖsterreicherInnen erstmals erlaubt war, bei der AK anzutreten (siehe Hintergrund). Die Islamische Föderation in Wien nutzte die Chance, und stellte ein paar ihrer Schützlinge als „Bündnis Mosaik" für die Wahl auf. Heute ist die Liste mit drei Männern im AK-Parlament vertreten.
Spät, aber doch begann auch die Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen den Braten zu riechen. Bei der letzten Wahl standen sechs Kandidaten mit Migrationshintergrund an voraussichtlich wählbarer Stelle, heuer sind es sieben. Versuche, das Bündnis Mosaik in die FSG einzugliedern, scheiterten: „Da hättet ihr früher draufkommen können", wehrte „Mosaik"-Oberster Levent Öztürk ab, der heute stolz ist, es allein geschafft zu haben: „Wir haben bewiesen, dass man uns ernst nehmen muss."
Splittergruppen
Doch mittlerweile sorgt der Name „Mosaik"selbst für unfreiwillige Komik: So manches Splittersteinchen ist der Fraktion abhanden gekommen, weil die hierarchischen Strukturen nicht allen zusagten. Da wäre einerseits Ercüment Aytac, der vor fünf Jahren als Mosaik-Kandidat in die Kammer gewählt wurde: Vor zwei Jahren schied er aus dem Bündnis aus. Jetzt startet er für die FSG ins Rennen - auf einem Fixplatz. Zudem spalteten sich Im Vorjahr einige konservative Mosaik-Männer ab, um nun als „Liste Perspektive" einen „neuen politischen Stil" zu vertreten. Wie dieser genau aussehen soll, will Perspektive-Chef und ehemaliger Bündnis-Vorstand Ümit Vural im derStandard.at-Gespräch nicht erläutern, sondern pocht lieber auf „das Vertrauen unserer Wähler".
Von den vier Migrantenlisten fischen nun drei Gruppierungen im Teich der türkischstämmigen Wählerschichten. Melek Es' Liste trägt die Herkunft sogar im Namen: „Türk-Is" heißt übersetzt „türkische Arbeit".
Werden da SerbInnen oder andere Herkunftsgruppen nicht von vornherein ausgeschlossen? „Die Gefahr besteht", gibt Melek Es zu. Bei ihr gaben Werbeeffekte den Ausschlag: „In der türkischen Szene kennt man meinen Namen." Daran wollte sie anknüpfen. Im Grunde gehe es ihr aber um „alle Migranten, längerfristig auch um alle anderen Arbeitnehmer."
"Man macht sich zu Inseln"
„Wir vertreten alle", versichert auch Levent Öztürk. Alles andere wäre Diskriminierung, „und das wollen wir schließlich selbst auch nicht."
Warum dann spezielle Migrantenlisten? Paradoxerweise hat gerade Ercüment Aytac, der zur großen FSG gewechselt ist, am schnellsten eine Antwort parat: „Migrantenlisten sind wichtig, um zu signalisieren: ‚Hey, wir sind auch da.'" Auf längere Sicht hält er sie aber für gefährlich: „Man macht sich zu Inseln - und spielt damit jenen Kräften in die Hände, die die Menschen mit Migrationshintergrund schon immer separieren wollten."
Aytac will in der größten AK-Fraktion gegen Benachteiligungen von Zugewanderten kämpfen, bezeichnet Antidiskriminierung" sogar als sein Hauptanliegen. Als Vertreter der Türkischstämmigen sieht sich der zweitplatzierte Migrant auf der FSG-Liste aber nicht: „Ich glaube nicht, dass die Türken wesentlich andere Dinge brauchen als die Serben - Dinge wie muttersprachlicher Unterricht betreffen alle", sagt Aytac.
Tumpel kann froh sein
Auch im Wahlverhalten sind die Unterschiede zwischen Zugewanderten und „Einheimischen" geringer, als viele denken: Gewählt wird meist, was schon immer gewählt wurde. Insofern kann FSG-Chef Herbert Tumpel froh sein, die Migrantenlisten zu haben: Niemand trommelt lauter, damit jene Zugewanderten, die von der AK bisher wenig wussten, heuer erstmals wählen gehen. Und wer zum ersten Mal wählt, macht oft dort das Kreuzchen, wo es auch die Familie oder die besten FreundInnen tun. Viele taten es bislang bei der FSG.
Das ist auch Melek Es schmerzlich bewusst. Angebote einer „türkischen" Liste, die dank Fraktionsförderung mit größeren Budgets hantiert, schlug sie trotzdem aus, um nicht auf unwählbarer Stelle die Quotenfrau spielen zu müssen. Nun tritt sie dort auf, wo die anderen Listen weniger sichtbar sind: Statt in Moscheen und Kulturvereinen wirbt sie auf den Grillplätzen der Donauinsel und eben auf Hochzeiten für sich. Falls es diesmal nicht klappen sollte? Melek grinst: „Dann probiere ich es eben in fünf Jahren noch einmal." (Maria Sterkl, derStandard.at, 28.4.2009)