Die Zeiten, als ein gerissener Keilriemen durch einen Nylonstrumpf ersetzt werden konnte und man mit offenem Kofferraum Waschmaschinen durch die Stadt transportierte sind vorbei. Heute warnt ein konstantes Piepsen, wenn vergessen wurde, den Gurt anzulegen. Schmierende Scheibenwischer lösen einen enervierenden Pfeifton aus und wenn das Thermometer fällt, leuchtet es am Armaturenbrett rot auf. Mechatronik ist seit geraumer Zeit der, mehr oder weniger, stille Beifahrer in modernen Autos und die Fülle an elektronischen Helfern in KFZ wächst kontinuierlich.
Unfallvermeidung hat oberste Priorität
Der europäische Verkehrssicherheitsrat (ETSC) fördert die Entwicklung hin in Richtung elektronischer Assistenzsysteme für Autos, wobei vor allem Systeme, die lebensrettend sind oder die Schwere von Verletzungen mindern, vorrangig behandelt werden. Dazu gehören Gurtanlegesignale, Spurhalteassistenten, Müdigkeitsdetektoren oder Notbremsassistenten. Die EU-Gesetzgeber wollen auch die allgemeine Verbreitung von Alko-Sperren und ISA (Intelligenter Tempo-Assistent) forcieren. Eine Reaktion auf die immer noch häufigsten Unfallursachen: Alkohol und überhöhte Geschwindigkeit.
Ebenfalls ganz oben auf der Prioritätsliste der EU stehen eCall - ein System das im Falle eines Unfalles selbständig Hilfe ruft - sowie Systeme, die schwächere Verkehrsteilnehmer schützen. BMW etwa hat vor kurzem ein neues System präsentiert, das sich AMULETT ("Aktive mobile Unfallvermeidung und Unfallfolgenminderung durch kooperative Erfassungs- und Trackingtechnologie") nennt. Gemeinsam mit Forschungseinrichtungen in Deutschland hat BMW eine Methode zum Schutz von Fußgängern entwickelt, die auf der Kommunikation zwischen Auto und anderen Verkehrsteilnehmern basiert.
Durch kooperative Sensorik zwischen Auto und einem Transponder können verdeckte Verkehrsteilnehmer - etwa ein Kind zwischen parkenden Autos - wahrgenommen werden. Das ganze nennt sich dann Car-2-X-Kommunikation und hilft, die Sicherheit von Fußgängern oder Zweiradfahrern zu erhöhen. Ein Teil des Systems ist im Auto integriert, der andere Teil wird vom Fußgänger bei sich getragen. Die Anonymität beider Verkehrsteilnehmer soll durch Codes geschützt werden, die zufällig ausgewählt werden und häufig wechseln.
Moderne Autos kommunizieren mit ihrer Umwelt
Weiters arbeitet BMW an einem lernenden Navigationssystem mit künstlicher Intelligenz, das lernfähig ist und aus dem Verhalten des Fahrers seine Schlüsse zieht. Mit Hilfe dieser Daten soll das System dann, abhängig von Wochentagen, Beifahrern oder üblichen Samstagsaktivitäten, den zeit- und kostensparendsten Weg für den Fahrer auswählen. Das System wurde bei BMW bereits getestet und kommt inzwischen auf eine Trefferquote von 70 Prozent.
Auch bei Mercedes wird vermehrt der Schutz von Fußgängern zu einem wichtigen Bestandteil in der Forschung. In der neuen E-Klasse etwa sind serienmäßig Motorhauben integriert, die sich im Falle eines Zusammenstoßes anheben und damit den Deformationsraum vergrößern, wodurch das Verletzungsrisiko verringert wird. Die neuen Modelle der E-Klasse wurden mit allen nur erdenklichen Helfern ausgestattet. Im Mittelpunkt der Forschungsarbeit stehen die Unfallvermeidung sowie die Verringerung der Unfallschwere. Mercedes-Benz setzt neben Radarsensoren in der neuen E-Klasse dabei erstmals auch Kameras ein, die die Umgebung des Autos beobachten und Situationen auch interpretieren können. Sie unterstützen den Fahrer beim spurtreuen Fahren oder erkennen Temposchilder.
Die Scheinwerfer werden sich erstmals automatisch der jeweiligen Verkehrssituation anpassen und beispielsweise bei Gegenverkehr selbständig die Leuchtweite regulieren, so dass der Fahrer bestmögliche Sicht hat, ohne andere zu blenden. Ein Spurhalte-Assistent schützt den Fahrer davor, von der Fahrbahn abzukommen. Auch hier kommen Kameras zum Einsatz, die erkennen, wenn das Fahrzeug die Fahrspur verlässt. Das System warnt den Fahrer durch Signale vor der Gefahr, reagiert dieser nicht, greift ein Elektromotor ein und übernimmt die Lenkung. Das System erkennt auch, ob die Fahrspur bewusst, etwa um zu überholen, oder unbewusst verlassen wird. Informationen über Tempolimits werden von Kameras erfasst und auf ein Display am Tachometer übertragen, ein anderes System überwacht die Aufmerksamkeit des Fahrers und warnt vor einem möglichen Sekundenschlaf.
Kommunikation als Lebensretter
"Die elektronischen Helfer der E-Klasse werden früher oder später auch in Mittelklassewagen zum Standard gehören", ist Andreas W. Dick überzeugt. Der "Freie Fahrt"-Redakteur hat verschiedene Assistenzsysteme getestet und ist von ihrer Zweckmäßigkeit überzeugt. "Für mich stellt sich die Frage: 'Brauche ich das alles oder brauche ich es nicht.' Für Berufsfahrer, die täglich hunderte Kilometer mit dem Auto unterwegs sind, bedeuten diese Systeme eine erhebliche Erleichterung", so Dick.
Noch gibt es viele der lebensrettenden Hightech-Systeme nur für die Oberklasse aber "Mittelklassefahrer werden in absehbarer Zeit in den Genuss dieser unterstützenden Technologien kommen", ist Gregor Waidacher, Pressesprecher von Mercedes überzeugt. Für die Zukunft sind alle Möglichkeiten offen und man konzentriert sich bei Mercedes vor allem auf die Unfallvermeidung an Kreuzungen, Einmündungen und Baustellen. "Ein Drittel aller Unfälle passieren in diesen Straßenbereichen. Die Lösung hierfür suchen wir in der so genannten 'Car-to-Car-Kommunikation. Das heißt, dass die Autos miteinander kommunizieren und den Fahrer selbständig warnen, wenn dieser die Gefahr aufgrund der Sichtverhältnisse nicht erkennen kann." Weitere Zukunftsthemen sind nach wie vor Übermüdung, Geschwindigkeit und Abkommen von der Fahrbahn, die die häufigsten Unfallursachen darstellen.
Die Verantwortung trägt der Mensch
Die Entwicklung geht also weiter in Richtung Unfallvermeidung. Sollte es dennoch zu einem Unfall kommen oder ein Unfall unvermeidlich sein, so greift beispielsweise bei Mercedes die 'PRE-SAFE-Technologie' ein, die das Fahrzeug automatisch für den bevorstehenden Unfall "vorbereitet". "PRE-SAFE verleiht dem Fahrzeug Reflexe", so Waidacher. Scheiben werden geschlossen, die Gurte gespannt und das Fahrzeug leitet 0,6 Sekunden vor dem Aufprall selbständig eine Vollbremsung ein - egal was der Fahrer macht. Trotzdem will man keine Bevormundung der Autofahrer. "Unfallvermeidung und Unterstützung sind die Ziele der Entwicklung, nicht die Entmündigung der Autofahrer".
Angesichts der Fülle an Technik, die dem Fahrer schon heute zur Verfügung steht, stellt sich die Frage, ob alle diese Helfer nicht dazu verleiten, die Verantwortung über die Fahrzeuglenkung der Elektronik zu überlassen. „Aus unserer Sicht gibt es einen schwachen Trend, dass Autofahrer beginnen, sich auf unterstützende Elektronik zu verlassen. Ein riskanteres Fahrverhalten ist aber als Folge nicht zu erkennen", sagt Steffan Kerbl vom ÖAMTC. "Allerdings steht dieser Trend in keiner Relation zum Sicherheitsgewinn. Viele Autofahrer wissen zudem gar nicht, über welche 'Fähigkeiten' ihr Auto verfügt, was im Fall von ESP oder Bremsassistenten nicht einmal so nachteilig ist."
Wer haftet im Schadensfall?
Davon, dass der Mensch letztendlich die Herrschaft über das Auto nicht abgeben wird, ist auch Dick überzeugt: "Die letzte Entscheidung über das Fahrverhalten will der Fahrer selber tragen." Die Elektronik in modernen Autos ist kein Freibrief dafür, gedankenlos oder riskant zu fahren. "Wenn man sich auf das Navigationssystem verlässt und am Ende im Bach landet, wird die Versicherung den Schaden wahrscheinlich nicht bezahlen", so Dick. Und auch Kerbl warnt davor, grob fahrlässig zu handeln. Moderne Assistenzsysteme warnen im Falle eines Ausfalls und es ist beinahe unmöglich, nicht zu bemerken, dass ein System ausgefallen ist.
Die Allianz-Versicherung wiederum garantiert auf Anfrage, dass der Fahrer im Falle eines Unfalls, für sowohl bei Haftplicht- als auch bei Kaskoversicherungen, damit rechnen kann, dass für den Schaden aufgekommen wird. Maximal könne man den Hersteller regressieren, den Fahrzeuglenker würde in keinem Fall Schuld treffen, wenn ein elektronisches System ausfällt. Allerdings sei es schwierig, einen Produktfehler nachzuweisen.
Der Ausfall eines elektronischen Helfers habe auch nicht automatisch eine Panne zur Folge, da sie nicht zum "Liegenbleiben" des Fahrzeugs führen, erklärt Kerbl." Oft hilft beim Ausfall eines der Systeme schon, das Auto neu zu starten", so Dick. "Eine Fahrt in die Werkstatt ist nicht nötig". ÖAMTC und ARBÖ können in den meisten Fällen Fehler auslesen und korrigieren. "Nur bei brandneuen Autos fehlt uns oft noch die Software", so Dick.
Ob Assistenzsysteme Unfälle vermeiden helfen sei nicht klar zu sagen. Auf jeden Fall sinke die Zahl der Verletzten und Toten. "Faktum ist, dass Systeme wie ESP keine negativen Nebeneffekte aufweisen und daher nur etwas bringen können", so Kerbl. (Mirjam Harmtodt/derStandard.at/18.4.2009)