Dan Rivers im ehemaligen Lager Tuol Sleng (S-21), das jetzt ein Gedenkmuseum ist. In eine Schulgebäude von Phnom Phen richteten die Roten Khmer eines von beinahe 190 Folterlagern ein. Zwischen 1975 und 1979 kamen dort zwischen 14.000 und 20.000 Menschen auf brutale Art und Weise durch Folter ums Leben. Gegen den ehemalige Leiter des Folterzentrums, Kang Kek Leu (Duch), läuft derzeit am internationalen Khmer-Rouge-Tribunal der erste Prozess gegen einen Täter der damaligen Massaker.

Foto: CNN/Videostill

Ta Chan, Chef des Verhör-Teams von Tuol Sleng in den 70er Jahren. Das Filmteam von Dan Rivers besuchte das Dorf, in dem er nun wohnt. Er soll die Folterungen akribisch geplant und geleitet haben. Seine Familie ließ ausrichten, dass er nicht zur Vergangenheit Stellung nehmen werde.

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Die Frau von Ta Chan. Ihr Mann habe nur seine Pflicht getan.

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Norng Champhal kam als Kind mit seiner Mutter in das Lager und überlebte als einer von wenigen. Insgesamt forderte die Regierung Pol Pot zwischen 1975 und 1979 1,4 bis 2,2 Millionen Opfer, vor allem Beamte, Intellektuelle und buddhistische Mönche, die in den Vernichtungslagern gefoltert und hingerichtet wurden.

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Für eine CNN-Reportage begab sich Dan Rivers auf die Suche nach Ta Chan, den mutmaßlichen Ober-Befehlshaber des berüchtigten S-21 Gefangenenlagers der Roten Khmer in Kambodscha, in dem rund 14.000 Menschen getötet wurden.

Im derStandard.at-Interview erzählt Dan Rivers, wieso Ta Chan nicht angeklagt wurde. Er berichtet über den erschütternden Moment, als er einem Überlebenden die historischen Bilder seiner eigenen Befreiung vorspielte und wieso das Rote-Khmer-Tribunal in Turbulenzen geraten könnte.

derStandard.at: Sie haben für Ihre Dokumentation sowohl mit Opfern als auch mit Tätern gesprochen. Zum Beispiel mit Ta Chan, einem Befehlshaber aus dem Lager S-21, dessen Kommandant "Duch" war. Der Prozess gegen ihn läuft gerade. Wo fanden Sie ihn?

Dan Rivers: Wir haben ihn, der ja quasi der Chefverhörer in S-21 war – in einem kleinen Ort in Westkambodscha aufgespürt. Wir sind hingefahren. Und da stand er dann, vor seinem Haus und sobald er die Kameras sah, war er verschwunden und wollte nicht mehr rauskommen, geschweige denn mit uns sprechen. Er sei zu alt, sein Gesundheitszustand schlecht, ließ die Familie ausrichten. Wir fanden dann zusätzliches historisches Filmmaterial, das noch nie gesendet wurde und von einem Thai-Kameramann aufgenommen wurde. Diese Aufnahme zeigt Ta Chan, wie er den Kameramann quasi durch das Gefangenenlager "führt". Er spricht auch darüber, dass er nur Befehle ausführt. Würde er das nicht tun, hätte er mit Konsequenzen zu rechnen.

derStandard.at: Ta Chan war aber doch einer der Köpfe im S-21. Wieso wurde gegen ihn nie Anklage erhoben.

Dan Rivers: Es hat schon unglaublich lang gedauert, um die ersten Angeklagten vor Gericht zu stellen. Dreißig Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft der Roten Khmer begann im Februar der erste Prozess gegen einen Drahtzieher der Massaker, Kaing Guek Eav, alias Duch. Vier andere Köpfe erwarten ihre Prozesse. Premierminister Hun Sen hat aber bereits gesagt, dass er findet, mehr Menschen sollten gar nicht angeklagt werden. Er hält es für ein gesellschaftliches Risiko und gibt zu bedenken, dass es schwer sei zu entscheiden, wen man anklage und wer nur Erfüllungsgehilfe war. Zwar plant das Tribunal weitere Anklagen, aber ob die je zustande kommen, ist noch fraglich. Vor allem jetzt, wo das Tribunal sich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sieht.

derStandard.at: Er lebt also unbehelligt in seinem Dorf.

Dan Rivers: Ja, er dürfte jetzt in seinen Sechzigern sein und lebt in diesem winzigen Dorf im Westen von Kambodscha. Ich denke, dass sie sich die Familie schon bewusst ist, dass ein gewisse Gefahr besteht, dass Ta Chan angeklagt werden könnte. Aber es gab in ganz Kambodscha 189 dieser Lager und somit etliche Täter, die frei sind. Und sie haben alle die selbe Entschuldigung. Hätten Sie Ihre Jobs nicht erledigt, wären sie selbst und ihre Familien getötet worden.

Wir haben bei unseren Recherchen auch ein interessantes Foto aus den 70ern von Ta Chan und seiner Frau mit Duch und anderen Verantwortlichen gefunden. Er war ein für kambodschanische Verhältnisse großgewachsener, stattlicher Mann. Auf Basis dieses Fotos haben wir dann vor Ort seine Frau erkannt und mit ihr gesprochen. Wir zeigten ihr das Foto und sie wirkte sehr stolz darauf, dass ihr Mann diese verantwortungsvolle Position innehatte.

derStandard.at: Welche Position war das genau?

Dan Rivers: Er war sicher der Chef des Verhör-Teams. Die meisten Protokolle, die das Dokumentationszentrum von S-21 aufbewahrt, sind von ihm unterzeichnet. Es gab dort auch sowas wie ein Folter-Handbuch, das vermutlich er verfasste. Man war in diesem Lager sehr pedantisch, hat alles akribisch aufgezeichnet, die Opfer fotografiert, bevor sie gefoltert und getötet wurden. Er hat das alles koordiniert. Wir haben mit überlebenden Opfern gesprochen. Sie erzählen von brutalen Behandlungen und Foltermethoden wie Waterbording, sie wurden unter Strom gesetzt, isoliert, Finger wurden ihnen abgeschnitten. Sobald man ein Geständnis erhalten hatte, wurden die Menschen zu den "Killing fields" gebracht. Und diese Exekutionen waren barbarisch.

derStandard.at: Sie haben mit einem Überlebenden gesprochen, der bei der Befreiung des Lagers erst 9 Jahre alt war. Nur sieben Menschen konnten lebend befreit werden, einer von ihnen eben Norng Champhal.

Dan Rivers: Wir konnten vom Tag der Befreiung Orginalfilmmaterial der vietnamischen Truppen finden. Sie filmten, als sie ins Lager kamen, auch eine Gruppe von überlebenden Kindern in desaströsem Zustand, halb verhungert. Die Kinder hatten schon einige Tage vollkommen alleine zwischen den Leichen gelebt. Eines von ihnen war Norng Champhal. Er hatte überlebt, weil er sich in einem Wäscheberg versteckt gehalten hatte. Wir haben ihn in einem kleinen Dorf außerhalb von Phnom Phen gefunden und ihm den Film gezeigt. Er erzählte uns grausame Details über die Inhaftierung von ihm und seiner Mutter, von der er sogleich getrennt wurde, als sie ins Lager kamen. Von Leichen und Erschießungen. Er sah seine Mutter bei seiner Ankunft in S-21 zum letzten Mal.

derStandard.at: Wie haben diese Erlebnisse von damals sein Leben beeinflusst?

Dan Rivers: Er ist verheiratet, hat Kinder, ist ein Konstrukteur. Aber man merkt, dass die Erlebnisse ihn nicht loslassen. Außerdem wird seine Geschichte in Kambodscha immer wieder erzählt, wenn man sich an das schrecklichen Regime erinnert.

derStandard.at: Erhält er Unterstützungen oder so etwas wie eine Entschädigung von offizieller Stelle?

Dan Rivers: Das Tribunal bietet den Überlebenden einen Zuschuss, wenn sie in den Prozessen aussagen.

derStandard.at: Was erwarten sich die Opfer und deren Angehörige von den aktuellen Prozessen des Tribunals?

Dan Rivers: Die Prozesse werden allesamt im Fernsehen übertragen. Die Leute verfolgen sie aufmerksam, auch die Familie von Norng Champhal. Es ist natürlich schwierig in diesem System zu sagen, wer wirklich schuld ist und wer nicht. Auch Duch entschuldigt seine Aktionen natürlich damit, dass er und seine Familie hätten sterben müssen, hätte er nicht seine Arbeit getan. Im britischen Rechtssystem würde er natürlich relativ schnell für schuldig befunden und verurteilt werden. Hier bin ich mir nicht sicher, wie die Richter entscheiden werden. Ich denke schon, dass er zumindest lebenslang bekommt, wenn nicht die Todesstrafe.

derStandard.at: Korruptionsvorwürfe belasten das internationale Tribunal, auch gibt es Budgetprobleme. Könnte das eine Verurteilung verzögern oder das ganze Tribunal sogar zu Fall bringen?

Dan Rivers: Wir haben für unsere Doku erstmals jemanden vor die Kamera bekommen, der zugegeben hat, dass hier Schmiergelder geflossen sind. Ein Teil des kambodschanischen administrativen Personals soll monatliche Zahlungen erhalten haben. Die Vorkommnisse schaden natürlich dem gesamten Tribunal. Wie können Prozesse fair ablaufen, wenn hinter den Kulissen Korruption zugelassen wird? Mittlerweile besteht die Gefahr, dass ausländische Geber ihre Gelder zurückziehen, wenn sie fürchten müssen, dass diese zweckentfremdet werden. Die UNO hat eine internere Untersuchung eingeleitet, die Ergebnisse der kambodschanischen Regierung präsentiert, sie aber nicht öffentlich gemacht.

derStandard.at: Was war für Sie während der Arbeiten an der Dokumention die eindrücklichste Erfahrung?

Dan Rivers: Da waren einige Momente. Einer war sicher der Moment, an dem wir Ta Chan vor seinem Haus stehen sahen. Es war schon so extrem schwer gewesen, überhaupt herauszufinden ob er und wo er lebt. Klar, er verschwand sofort wieder, aber es war trotzdem ein besonderer Moment. Eine andere Geschichte war, als wir das Filmmaterial über Pol Pot fanden. Das war eines seiner letzten Interviews, etwa drei Monate vor seinem Tod. Dieser alte Mann hatte soviel Leid über Kambodscha gebracht. (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 4.5.2009)