Ein Gesicht der Ostblock-Industrie vor 1989: Personenwagen Skoda 100.

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Die Planwirtschaft gilt als einer der Hauptgründe für den Zusammenbruch des sowjetischen Reiches. Aber auch der Westen plante minutiös, was er dem Osten verkaufte.

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"Vorsicht mit der Freude", sagt Sándor Richter all jenen Globalisierungs- und Kapitalismuskritikern, die derzeit lautstark frohlocken, weil sie mit der aktuellen Wirtschaftskrise zwanzig Jahre nach dem Ende des realsozialistischen, von marxistischen Theorien unterfütterten Ostblocks nun auch den Niedergang der Marktwirtschaft kommen sehen. "Für jemanden, der wie ich aus der Planwirtschaft kommt", so der ungarischstämmige Ökonom vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) im Gespräch mit dem Standard weiter, könne jede Tendenz in diese Richtung "kein positives Ziel mehr sein - wenn ich zurückblicke und sehe, wie schlecht die Volkswirtschaften funktioniert haben". Sein Kollege Peter Havlik, Vizechef des WIIW, ergänzt: "Ich würde sagen, viele Leute haben vergessen, wie das damals war, mit den leeren Regalen in den Lebensmittelgeschäften."

"Damals", das war zwischen 1949 und 1991, als die militärische Supermacht UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, auch Sowjetunion genannt) ihre Satellitenstaaten in Mittel- und Osteuropa auch wirtschaftlich kontrollierte. Das Vehikel dafür war der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (siehe Kasten Wissen). In diesem wurden die Fünfjahrespläne der damaligen Volksrepubliken aufeinander abgestimmt, damit innerhalb der sozialistischen Bruderstaaten eine Arbeitsteilung entsteht: So war ein Land, etwa die Tschechoslowakei, beispielsweise für den Bau von Automobilen und Panzern zuständig, ein anderes - Ungarn - für Reisebusse; ein wieder anderes, die DDR, für Fischereischiffe. Die Waren wurden im gesamten Bund verteilt, und die Export- und Importströme wurden von einer Clearing-Bank gegengerechnet.

Die Sowjetunion war dabei nicht nur das Mutterland der Ideologie, sondern spielte auch wirtschaftlich die mit Abstand gewichtigste Rolle, die die Preise aller Industriegüter in Erdöläquivalenten festschrieb. Die UdSSR versorgte ihre Bruderstaaten mit Energie - Gas und Erdöl. Und dies nicht zu Weltmarktpreisen, sondern zum Billigtarif unter Brüdern. Die schmerzhafte Anpassung an eine Verrechnung zu Weltmarktpreisen stört bis heute das Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine. Bezeichnend, dass Weißrussland, der unbeirrbare Gefolgsstaat Russlands, bis heute konkurrenzlos günstig Öl und Gas erhält.

"Das war kein Segen", sagt Richter. Denn der Westen hatte nach dem ersten Ölpreisschock 1974, als die arabische Welt den Industrieländern klarmachte, in welcher Abhängigkeit sie vom Schwarzen Gold standen, drastische Energiesparmaßnahmen begonnen. Richter: "Im RGW gab es keinen Zwang zu modernisieren." "Und es gab ständig Streit um die Preise", sagt Havlik, "obwohl: Offiziell durfte man das nicht sagen." 

Kein Zwang zur Effizienz

Die Planwirtschaft hatte es überhaupt mit sich gebracht, "dass jeglicher Zwang zu Effizienz fehlte", sagt Richter (der von 1979 bis 1990 an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften als Ökonom tätig war). Zwischen der Sowjetunion und ihren Satelliten wurden aufgrund der Arbeitsteilung vor allem Fertigprodukte verschoben. "Diese Produkte wären aufgrund ihrer Qualität nie im Westen absetzbar gewesen." Also konnten Westwaren, die auch im RGW-Raum stark nachgefragt wurden, nicht mit Exporten ausgeglichen, sondern mussten mit hoher Verschuldung finanziert werden. "Die Schuldenberge sind gewachsen und gewachsen, bis zur politischen Wende", so Richter.

So war der Handel des Westens mit dem Staaten im Osten mit unzähligen Stolpersteinen gepflastert. Auch mit Restriktionen, die sich der Westen selbst auferlegte: Da der Kalte Krieg nicht nur militärisch-strategisches Wettrüsten bedeutete sondern immer auch ein Kampf der Systeme war - hier Kapitalismus, dort Realsozialismus -, war der Westen vorsichtig beim Verkauf von besonders innovativen Produkten in den Ostblock. Alles, was neueste Technologie war und den Osten dabei hätte helfen können, sein gesellschaftlich-wirtschaftliches System voranzutreiben, wurde nicht aus der Hand gegeben. Alles, was irgendwie für Waffenproduktion eingesetzt werden konnte, durfte ebenfalls nicht in den Osten verkauft werden.

Die dafür unter der Ägide der USA geschaffene Überwachungsorganisation hieß CoCom (Coordinating Committee on Multilateral Export Controls). Länder wie Österreich gehörten nicht dazu, mussten sich aber den Auflagen unterwerfen. Regelmäßig kamen die Mitglieder in Paris zusammen und erstellten Listen, auf denen all die Waren angegeben waren, die nicht an die Sowjets plus Alliierte, aber auch nicht an Länder wie Libyen geliefert werden durften.

"Nichts strategisch Wichtiges sollte in die Hände der RGW-Staaten kommen", erinnert sich Johann Kausl, der als junger Delegierter an der Österreichischen Außenhandelsstelle in Moskau das System in den 80er-Jahren miterlebte. Dies bedeutete, dass auch viele zivile Produkte einem rigiden und bürokratischen Regime unterlagen, wohin sie verkauft werden durften.

Die Ereignisse 1989 hatten, glaubt Sándor Richter, zu einem guten Teil ökonomische Ursachen. Wenngleich Michail Gorbatschows Glasnost- und Perestroika-Politik in der Sowjetunion "natürlich das Wichtigste gewesen ist", habe die Tatsache, dass es nicht und nicht gelungen ist, den Lebensstandard der Bevölkerung in den sozialistischen Ländern nachhaltig zu erhöhen, dazu geführt, dass im Gegenzug aus Unzufriedenheit eben mehr Meinungsfreiheit gefordert worden wäre.

Schneller Zusammenbruch

Nach dem Zusammenbruch des politischen Ostblocks fiel auch der Handel zwischen den ehemaligen Bruderstaaten in sich zusammen. Havlik: "Die frühere Integration verschwand blitzartig." Von den sozialistischen Industriemarken blieben nur wenige übrig - so wie die Škoda-Werke, die im Volkswagen-Konzern aufgingen und heute erfolgreich Autos bauen. Aus der Autoindustrie gibt es ein weiteres Positivbeispiel: Dacia (Rumänien) ist die Billiglinie von Renault. Marken wie Trabant, Wartburg (DDR), Ikarus (ungarische Busse) hingegen sind weg. Russische Autos wie Lada tun sich heute selbst auf dem Heimmarkt schwer und müssen mit westeuropäischen Konzernen kooperieren. (Leo Szemeliker, Johanna Ruzicka, DER STANDARD, Printausgabe, 30.4.2009)