"Ich sehe es auch als eine der Aufgaben von Greenpeace daran mitzuarbeiten, dass bei der Bevölkerung ein europäisches Bewusstsein entsteht", sagt Thomas Trenker.

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Trenkers Symbol für Europa: "Eine gebrochene Kette. Sie steht für Freiheiten aber auch für unerwünschte Kräfte, die entfesselt werden können."

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"Bei der Umsetzung des neuen EU-Chemikalienrechts im Jahr 2006 hatte Greenpeace drei Lobbyisten vor Ort. Die deutsche Chemie-Industrie beschäftigte zur gleichen Zeit mehrere hundert Lobbyisten", sagt Thomas Trenker, Aktivist bei Greenpeace im derStandard.at-Interview. Welche regionalen Unterschiede und Gemeinsamkeiten er innerhalb der EU bemerkt, in welchen Ländern man "eher vorsichtig" Umweltaktivismus betreibt und weshalb ein "europäisches Bewusstsein" der Bevölkerung auch für Greenpeace von Vorteil wäre, besprach Trenker mit Katrin Burgstaller.

derStandard.at: Wir haben Sie gebeten, einen Gegenstand mitzubringen, den Sie mit Europa verbinden.

Trenker: Ich habe eine gebrochene Kette mitgebracht. Einerseits steht Europa für mehr Freiheiten, zum Beispiel die Reisefreiheit. Andererseits: Wenn man nicht aufpasst, können auch Kräfte entfesselt werden, die man eigentlich nicht will und die man nicht mehr aufhalten kann.

derStandard.at: Sie sind seit zehn Jahren Aktivist bei Greenpeace. Was war Ihre erste Aktion außerhalb Österreichs?

Trenker: Die erste Aktion war in Polen, das war 2004. Polen wollte damals eine Straße durch ein Naturschutzgebiet bauen. Wir sind auf das Infrastrukturministerium geklettert und haben mit einem Banner demonstriert. Nach einigen Stunden hat die Polizei unsere Aktion aufgelöst.

derStandard.at: Gab es von polnischer Seite strengere Konsequenzen gegen diese unangemeldete Aktion, als dies von österreichischer Seite zu erwarten gewesen wäre?

Trenker: Nein, Polen ist auf demselben Standard wie Österreich, was auch durch das EU-Recht begründet ist. Zudem denke ich, es gibt einen guten Austausch innerhalb der Polizei in Europa. Die polnischen Polizisten waren sehr nett, was uns selbst überrascht hat. Wir haben eine geringe Geldstrafe bekommen, wie es auch in Österreich üblich ist.

derStandard.at: Sind unangemeldete Protestaktionen durch den Beitritt vieler Länder in die EU auch europaweit einfacher zu händeln?

Trenker: Ich glaube, dass das in einigen Ländern leichter geworden ist. In vielen Ländern ist die Akzeptanz jetzt höher. Gerade im ehemaligen Ostblock gab es Anfangs Schwierigkeiten. Bei einer Protestaktion in Ungarn gegen das Atomkraftwerk Paks im Juni 2003, hat die Polizei ziemlich heftig eingegriffen. Das würde es heute so nicht mehr geben.

Norwegen und die Schweiz sind nicht in der EU – dort ist jedoch der Umweltaktivismus anerkannt. In Ländern, die noch Krisengebiete sind, sind wir schon vorsichtiger. Außerdem fällt es dort auch schwerer im Umweltbereich etwas zu bewegen. Und obwohl Bulgarien Mitglied der EU ist, ist es dort für uns auch schwierig. Bulgarien hat eine starke Atomlobby die eng mit der Regierung verbunden ist. Dort hat es Drohungen gegen unsere Aktivisten gegeben. In Bulgarien sind wir deshalb eher vorsichtig.

derStandard.at: Hierzulande ist Greenpeace bekannt, jeder weiß, das ist eine Organisation, die für den Umweltschutz eintritt. Wie bekannt ist Greenpeace in den neueren EU-Ländern? Wie reagieren die Leute auf die Aktivisten?

Trenker: In Ungarn sind wir mittlerweile ziemlich bekannt, etwa durch die Aktionen, die wir zur verschmutzten Raab gemacht haben. Die Bevölkerung steht größtenteils hinter unserer Position. In Rumänien ist Greenpeace noch nicht so bekannt, weil wir dort noch nicht so lange aktiv sind. Im Zuge unserer Gentechnikkampagne hat sich allerdings gezeigt, dass die Leute dort genauso besorgt sind wie hierzulande.

derStandard.at: Ist es schwierig, in Österreich Umweltaktivisten zu finden? Und wie ist die Lage diesbezüglich in anderen europäischen Ländern?

Trenker: Die Bereitschaft, in Österreich aktiv zu werden ist da, allerdings ist es schwieriger geworden, Aktivisten zu finden. Meist sind Studenten bereit, sich freiwillig einzusetzen. Seit der Studiengebühreneinführung merkt man deutlich, dass die Leute nicht mehr so aktiv sind weil sie mehr arbeiten müssen. Die meisten, die bei uns aktiv sind, sind Politikwissenschaft- oder Biologiestudenten. Diese Klientel ist auch in anderen Ländern stark im Aktivismus vertreten. Derzeit ist die Spende- und Aktivismusbereitschaft in Polen größer als etwa in der Slowakei. Diesbezüglich sind also schon regionale Unterschiede zu bemerken.

derStandard.at: Inwiefern unterscheiden sich Greenpeace-Kampagnen von Land zu Land?

Trenker: Bestimmte Kampagnen sind von Greenpeace International vorgegeben, bei der Umsetzung wird auf regionale Aspekte Rücksicht genommen. Die Regenwaldkampagne gibt es zum Beispiel auf der ganzen Welt. Im Amazonas versuchen wir, die Abholzung zu stoppen, in Österreich versuchen wir sowohl Konsumenten als auch Unternehmen zu informieren. Man muss auch rechtliche Rahmenbedingungen beachten und unsere Kampagnen hängen auch vom Informationsstand der Bevölkerung ab. In manchen Ländern müssen wir zum Beispiel stärkere Aufklärungsarbeit leisten.

derStandard.at: Wo soll Greenpeace in Zukunft noch stärker vertreten sein?

Trenker: Wir werden uns vor allem Richtung Asien weiterentwickeln. Wir sind gerade dabei in Indien und China Büros aufzubauen, im letzten Jahr haben wir auch ein Büro in Afrika eröffnet.

derStandard.at: Greenpeace geht immer wieder gegen multinationale Konzerne vor, die auch als Lobbyisten bei den Europäischen Institutionen stark vertreten sind. Was bedeuten die starken Lobbys für Ihre Arbeit?

Trenker: Die Konzerne sind stark und haben im Lobbying-Bereich viel mehr Mittel als wir. Wir haben dennoch in Brüssel ein Büro eröffnet, das vor allem Lobbying bei den Institutionen betreibt. Aber zum Vergleich: Bei der Umsetzung des neuen EU-Chemikalienrechts im Jahr 2006 hatte Greenpeace drei Lobbyisten vor Ort. Die deutsche Chemie-Industrie beschäftigte zur gleichen Zeit mehrere hundert Lobbyisten.

derStandard.at: In welchen Bereichen kommt die EU den Greenpeace-Interessen entgegen, in welchen nicht?

Trenker: Die EU hat in Sachen Umweltschutz einiges durchgesetzt, was sich die Politiker auf nationaler Ebene aufgrund der öffentlichen Meinung nicht getraut hätten, durchzusetzen. Dass die öffentliche Meinung für die EU-Kommission nicht so wichtig ist, hat für uns aber auch Nachteile, weil es so schwieriger ist, sie unter Druck zu setzen.

derStandard.at: Die Institutionen dominieren die Gesetzgebung in allen Ländern. Ist es für Greenpeace nicht von Vorteil, dass Sie nur einen "Gegner" haben? Früher haben sämtliche Länder ihr eigenes Süppchen gekocht.

Trenker: Ja, es wäre ein Vorteil, wenn das Bewusstsein dafür in der Bevölkerung schon vorhanden wäre. Fakt ist, dass die Leute immer noch in nationalen Grenzen denken. Ich sehe es auch als eine der Aufgaben von Greenpeace daran mitzuarbeiten, dass bei der Bevölkerung ein europäisches Bewusstsein entsteht. Denn wichtige politische Entscheidungen werden in Brüssel getroffen – doch unter Mitwirkung der einzelnen Mitgliedsstaaten.

derStandard.at: Fühlen Sie sich als Europäer?

Trenker: Ich würde mich gerne als Europäer fühlen und versuche das so zu denken. Ich bin aber als Österreicher aufgewachsen und fühle mich in erster Linie immer noch als Österreicher. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 8. Mai 2009)