
"Es ist ein Verbrechen" betitelte Flo Schütz sein ironisches Übermalungsbild aus dem Jahr 2003.
Künstlern, die bestehende Werke verfremden, drohen scharfe Sanktionen.
Leonardos Mona Lisa bekommt einen Schnurrbart und Velázquez' spanische Königstochter einen blitzblau-gelben Teint verpasst. Jüngste Schreckensmeldungen über vandalistische Attentäter? Nein, denn diese Bilder von Duchamp und Picasso gelten seit langem selbst als Meisterwerke. Auch heute lassen sich viele Künstler von Fotos oder Gemälden ihrer Kollegen inspirieren, zitieren daraus, übermalen sie, bauen sie in Collagen ein oder schaffen andere Neuinterpretationen. Doch wie sieht es dabei mit dem Urheberrecht aus?
Bei Appropriation Art geht es um die Überarbeitung oder Verfremdung bereits bestehender Werke. Das Urheberrechtsgesetz regelt die Zulässigkeit und Rahmenbedingungen dieser Kunstrichtung nicht explizit. Damit agieren solche Künstler im rechtlichen Graubereich.
Der Schöpfer eines Werks genießt urheberrechtlichen Schutz. Eine Bearbeitung seiner Schöpfung ist grundsätzlich nur mit seiner Zustimmung zulässig. Handelt es sich aber bei der Nachschöpfung um ein völlig neues, vom Vorbild losgelöstes Werk, ist die Einwilligung des ursprünglichen Künstlers nicht notwendig. Das Werk genießt unbeschränkt selbstständigen Schutz.
Wo die Grenze zwischen der zustimmungspflichtigen Bearbeitung und der Schöpfung eines neuen Werkes liegt, ist freilich umstritten. Der Oberste Gerichtshof schützt in seinen Entscheidungen tendenziell den ursprünglich Schaffenden. Nur wenn bei einer neuen Kreation das ursprüngliche Arbeitsergebnis vollkommen verblasst und dieses bloß als Idee oder Anregung verwendet wurde, entstehe ein neues Werk. Andernfalls läge eine bloße, zustimmungspflichtige Bearbeitung vor.
Kein eigenständiges Werk?
Bei der Appropriation Art nimmt aber der Künstler ganz bewusst auf das schon Bestehende Bezug. Nach den allgemeinen Kriterien des OGH läge damit grundsätzlich in den seltensten Fällen ein eigenständiges Werk vor. Dies würde schlussendlich eine Beschränkung der Kunst und ihrer Entwicklung bewirken. Genau das Gegenteil war aber das ursprüngliche Ziel des Urheberrechts: Es sollte Arbeitsergebnisse schützen und damit die Kreativität fördern. Dazu gehört auch die Appropriation Art, die erst nach Beginn des Urheberrechtsgesetzes entstanden ist.
Wer aber entscheidet, wo eigenständige Kunst beginnt und bloße Nachahmung aufhört? Zum einen kann argumentiert werden, dass bereits der Schaffensmodus als solches so kreativ ist, dass trotz der Bezugnahme bereits eine gesondert geschützte Nachschaffung vorliegt. Zum anderen kann aber zum Schutz der Appropriation Art auch auf eine Grundrechtsabwägung zurückgegriffen werden: Bei der Interessenabwägung prallen hier das im Urheberrechtsgesetz Ausfluss findende Recht auf Schutz des Eigentums und damit des Altbestands, auf beiden Seiten die Freiheit der Kunst und schließlich in der Sphäre des Appropriation-Art-Künstlers die Meinungsfreiheit aufeinander. Da die Nachschöpfung meist nicht in wirtschaftliche Interessen des ursprünglichen Schöpfers eingreift - das Folgewerk setzt sich ja in der Regel kritisch mit dem Original auseinander und versucht dieses nicht zu ersetzen oder auszubeuten -, kann hier im Einzelfall die Abwägung zugunsten des Nachfolgekünstlers ausschlagen.
Mit Vertretern wie Elain Sturtevant, Richard Prince und Yasumasa Morimura ist die Appropriation Art nicht zuletzt wegen ihrer kreativen Impulse eine wichtige internationale Kunstströmung. Es ist wünschenswert, dass sich der Gesetzgeber bei nächster Gelegenheit dieser Thematik annehmen würde.
Anzudenken wäre eine freie Werknutzung für künstlerische Betätigung, die freilich an gewisse Vorgaben - auch finanzieller Natur - geknüpft sein kann. Jedenfalls ist es nicht sachgerecht, Vertreter einer weithin anerkannten Kunstrichtung durch das Urheberrechtsgesetz - das sie eigentlich schützen sollte - schwerwiegenden Sanktionen bis hin zu Gefängnisstrafen auszusetzen. (Axel Anderl, Martina Schmid / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.4.2009)