Inmitten der Urlaubsinseln in der kroatischen Adria bestand vier Jahrzehnte lang ein Internierungslager für politische Häftlinge.

Foto: Reinhard Grabher

Zeitzeuge Vladimir Bobinac (85) führt auf Anfrage Reisegruppen durch das Gelände. Eine solche Führung bildet den roten Faden des Films.

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Im Laufe der Jahre errichteten die Zwangsarbeiter eine ganze Industriezone. Unter anderem wurden hier Holzmöbel für den Export in die USA gefertigt.

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Salzburg - Ein lange Zeit verdrängtes Tabu der jüngeren Geschichte des ehemaligen Jugoslawiens könnte nun durch eine österreichische Filmdokumentation erstmals in den Blickpunkt einer größeren Öffentlichkeit rücken: Zwischen den kroatischen Urlaubsparadiesen Krk und Rab liegt ein zwei mal zwei Kilometer großes Eiland namens Goli Otok, die "nackte Insel". Von 1949 bis 1988 war sie das "Privatkonzentrationslager der Kommunistischen Partei - oder genauer gesagt: von Marschall Tito", sagte der ehemalige Häftling Alfred Pal, einer der Zeitzeugen, die für den Film interviewt wurden, bei der Filmpräsentation am Dienstag.

Jagd auf "Stalinisten"

Das Regime ließ nach dem Bruch zwischen Tito und Stalin, der zum Ausschluss Jugoslawiens aus dem sowjetisch gelenkten "Kominform" führte, zuerst parteiinterne, moskautreue Kritiker nach Goli Otok bringen. Der gebürtige Wiener Pal war einer von ihnen - als Zeitungskarikaturist hatte er es sich nicht nehmen lassen, die eine oder andere Spitze gegen die Parteiführung anzubringen. Obwohl er nie pro-sowjetisch Stellung bezogen hatte, wurde er als einer der ersten "Stalinisten" auf die Lagerinsel gebracht, wo er vier Jahre verbrachte.

"Wir durften nicht mit ihnen sprechen"

Ähnlich erging es etwa zwei Jahre später Vladimir Bobinac. Er war Student in Zagreb und bereits Mitglied der Kommunistischen Partei, als an den Universitäten der Druck auf stalintreue Studenten stieg: Sie wurden zunächst aus der Partei ausgeschlossen und mussten dann von ihren Studienkollegen "boykottiert" werden - "wir durften nicht neben ihnen in einer Bank sitzen, wir durften nicht mit ihnen sprechen", erinnert sich Bobinac. Er habe aber einen "schweren Fehler" gemacht und sich nicht daran gehalten. Ergebnis: Er wurde aus der Partei ausgeschlossen, selbst boykottiert, dann exmatrikuliert und landete schließlich im Internierungslager auf der kleinen Adria-Insel.

Prügel als Willkommensgruß

Die Überfahrt fand in einem Boot statt, in dem nicht weniger als 600 neue Häftlinge die ganze Zeit über knien mussten, schildert Bobinac. Auf der Insel angekommen, wartete schon ein Spalier aus Lagerinsassen, die die Anweisung hatten, auf die Neuen einzuprügeln. "Einer davon war genau der Mitstudent, den ich damals nicht boykottieren wollte", berichtet der 85-Jährige.

Schwere körperliche Zwangsarbeit

In der Anfangszeit wurden die Häftlinge zu schwerer körperlicher Arbeit gezwungen, um Gebäude auf der Insel zu errichten. Im Lauf der Jahre entstand so neben Zellentrakten und Unterkünften für die Wachmannschaften auch eine ganze Reihe von Fertigungshallen für die Möbel- und Fliesenproduktion. Sogar eine Schweinezucht wurde begonnen, die später die Restaurants der umliegenden Touristeninseln versorgte. Auch in den Steinbrüchen der Insel wurden die Häftlinge eingesetzt.

Als Schattenspender missbraucht

Als dann die sinnvolle Arbeit ausgegangen war, wurden Häftlinge zur Strafe etwa mit Bruchsteinen beladen und hin und her über die Insel geschickt. Auch stundenlanges Stehen in der prallen Sonne gehörte zum Folterrepertoire - frisch gepflanzten Bäumen in den Gärten rund um die Offizierswohnungen mussten die Insassen auf diese Art Schatten spenden.

Vergleich mit Guantánamo

"Das so genannte künstliche Ertrinken haben wir auch erlebt", sagt Alfred Pal. Nicht nur er vergleicht das Lager auf Goli Otok heute mit dem US-Internierungslager Guantánamo auf Kuba. "Die Menschen wurden dort als Nummern gesehen - wenn überhaupt", sagt der Ex-Insasse Zlatko Hill: "Die Gefangenen von Goli Otok sind als gebrochene Menschen herausgekommen."

Häftlingszahlen sind umstritten

Die Häftlinge - Schätzungen über ihre Gesamtzahl schwanken zwischen 12.000 und 60.000 - sollten nicht physisch vernichtet, aber zumindest dauerhaft zum Schweigen gebracht werden. Der Ex-Insasse Pavao Ravlić bezeichnet Goli Otok als "ein System der unfassbaren Torturen. Es war kein Vernichtungslager, aber in puncto Menschenrechte war es schlimmer als Auschwitz."

Nach der Aussöhnung zwischen Jugoslawien und der Sowjetunion im Jahr 1955 wurden Regimegegner aller politischen Couleurs auf die Insel gebracht: Sozialdemokraten, Nationalisten, Monarchisten, Bürgerliche oder westlich Orientierte. Ab Mitte der 1960er-Jahre kamen auch verurteilte Kriminelle nach Goli Otok, der Gefängnisbetrieb begann sich daraufhin zu normalisieren. 1988 wurde die Insel geräumt, die Anlagen verfallen seither.

Aufarbeitung fehlt

Bis zum Fall des Kommunismus war die Insel im ehemaligen Jugoslawien ein absolutes Tabu. Auch heute noch redet man in Kroatien nur höchst ungern über dieses dunkle Kapitel der Vergangenheit, eine echte Aufarbeitung hat nie stattgefunden. Auch Bemühungen um ein Mahnmal auf der Insel waren bisher vergeblich - obwohl ein Unterausschuss des kroatischen Parlaments im Vorjahr auf Initiative einiger Überlebender einen einstimmigen Beschluss dafür gefasst hat.

Der Salzburger Journalist Reinhard Grabher und der Kameramann Franz Schwaighofer sind nur zufällig auf einem Segeltörn auf die kahle Insel mit den seltsamen Ruinen aufmerksam geworden. Nun haben sie den ersten Film über sie gedreht: "Strahota - Die Geschichte der Gefängnisinsel Goli Otok". Mit dem kroatischen Wort "Strahota" (Grauen, Grausamkeit, Gräuel) hatte ein ehemaliger Lagerinsasse in einem Brief die Vorgänge dort zusammengefasst.

Auch kroatische Fassung geplant

Der Film hatte am 5. Mai Premiere und ist noch bis 22. Mai im Salzburger "Das Kino" zu sehen. Eine kroatische Fassung soll noch vor dem Sommer fertig werden, verspricht Grabher. Anlässlich des 60. Jahrestags der Eröffnung des Lagers am 9. Juli plant Alfred Pal eine entsprechende Ausstellung in Zagreb. Dort könnte auch die kroatische Version von "Strahota" Premiere feiern. (Markus Peherstorfer, derStandard.at, 05. Mai 2009)