Ein Gipfeltreffen am Vorabend des Krieges, um diesen doch noch in letzter Minute zu verhindern? Wie sollte das funktionieren, wenn nur diejenigen dabei sind, die von der Notwendigkeit, diesen Feldzug zu führen, überzeugt sind? Die Herren über Krieg und Frieden, für die andere Regeln gelten als für den Rest der Welt: Frankreichs Präsident Jacques Chirac wird als Gottseibeiuns dargestellt, weil er sich mit den teils seltsamen Ultimatumsbedingungen von Großbritanniens Premier Tony Blairs an Saddam Hussein nicht näher auseinander setzen wollte - dass hingegen US-Präsidentensprecher Ari Fleischer einen vernünftig klingenden Überbrückungsvorschlag des UN-Sicherheitsratsmitglieds Chile als "non starter" bezeichnet, bevor das Papier noch die UNO erreicht, ist ganz normal.
Finden wir uns damit ab, auf den Azoren wurde hauptsächlich darüber geredet, wie man den Marsch durch den Sicherheitsrat abbrechen und die Kollateralschäden für Blair - und in geringerem Ausmaße für Spaniens Premier José María Aznar - trotzdem möglichst gering halten kann. Da mögen einige diplomatische Verrenkungen noch möglich sein. Besonders viel war aber nicht zu erwarten, Washington hatte vor dem Gipfel klar gemacht, dass dieser "wichtig für unsere Freunde und Alliierten" sei. Also nicht wirklich so wichtig für die USA.
Trotzdem, dass sich Washington die Sache einfach nur leicht gemacht hätte, kann man auch wieder nicht sagen: Wer hätte im Herbst des Vorjahres gedacht, dass diese US-Regierung überhaupt in einen so intensiven und langen Dialog mit dem UNO-Sicherheitsrat treten würde? Aber ist es wirklich ein Dialog? "Unilaterale Taktik in einer multilateralen Strategie", nennt in der Washington Post ein Angehöriger der Administration von Bush senior das, was die heutigen Bushies da machen.
Dabei haben sie durchaus eine eigene Sprache für die UNO entwickelt - in der etwa, aus guten rechtlichen Gründen, das Wort "regime change" nicht vorkommt. Ein semantisches Meisterwerk war auch das Statement, das George Bush Freitagabend zum Nahostkonflikt abgab: eine Ankündigung eines "Fahrplans", der, solange er nicht veröffentlich ist - was Bush auf Israels Premier Ariel Sharons Drängen und zum Unmut der anderen Mitglieder des Nahostquartetts bisher verhindert hat -, auch noch nicht fertig formuliert ist. Für wie einfach gestrickt hält diese US-Regierung eigentlich Freunde und Feinde? Aber es nützt nichts, diese merken die Absicht und sind verstimmt.
Die Einstellung der Bush-Regierung zum Nahostkonflikt sollte man ja nicht unbedingt unter diplomatische Fehler und Versäumnisse kategorisieren, diese Politik ist ja durchaus so gewollt. Mit dem Fiasko, in das die Beziehungen zur Türkei langsam schlittern, ist das anders: Glaubt man Meldungen der türkischen Milliyet, so hat Bush Ankara nun vor einer militärischen Konfrontation gewarnt, sollten türkische Truppen im kurdischen Nordirak intervenieren. Der frisch gebackene türkische Premier Recep Erdogan verlangt seinerseits "Garantien" für die türkischen Interessen, erst dann will er das Parlament noch einmal über die Stationierung von US-Truppen in abstimmen lassen.
Nun liegen diese Fragen - deren Nichtlösung zu einer Explosion der Region führen kann - seit Monaten auf dem Tisch, und man fragt sich, was hat die US-Diplomatie in dieser Zeit eigentlich getan? Die Washington Post rechnet vor: 1990, in den fünf Monaten vor dem Golfkrieg, reiste US-Außenminister James Baker dreimal in die Türkei, Bush senior führte an die 60 Telefongespräche mit der türkischen Führung.
Heute, da anders als 1990 der Kriegsgrund nicht wirklich zu vermitteln ist, aber gleichzeitig die USA anders als damals von Ankara eine massive Stationierung von Truppen wollen, die einer Kriegsbeteiligung gleichkommt, schaut die Statistik so aus: Powell war in den vergangenen Monaten kein einziges Mal in Ankara, und Bush kommt auf drei Telefongespräche. Noch Fragen?
(DER STANDARD, Printausgabe, 17.3.2003)