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"Folgenforschung ohne Motivforschung bleibt folgenlos": Wahlkundgebung von KP-Anhängern auf dem Prager Wenzelsplatz.

Foto: Reuters/Petr Josek

Die politische Gegenwart der Tschechischen Republik im Lichte ihres Umgangs mit der KP-Vergangenheit. Ergänzende Anmerkungen zum 20. Jahrestag des Falls des Eisernen Vorhangs. 

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Angesichts der bevorstehenden Wahlen zum tschechischen Parlament ruft der Chef der bürgerlichen ODS und zwar bemühte, aber glücklose Ex-Premier Mirek Topolánek zur "Mobilisierung" gegen die unter dem Begriff der Linke subsummierten Kommunisten und Sozialdemokraten auf, um so eine Rückkehr zum Sozialismus gerade 20 Jahre nach der Samtenen Revolution zu verhindern. Während die politischen und medialen Eliten Europas mit gespannter Nervosität auf das Votum des tschechischen Senats zum Lissabon-Vertrag blicken, stehen sie den dahinter versteckten Ränkespielen und den bis in die ersten Jahre der Nach-Wende-Zeit reichenden politischen Intimfeindschaften und Netzwerken mit oft ratlosen Erstaunen und Ignoranz gegenüber.

Dem Land droht 2009 ein Wahlkampf, geprägt von Rückgriffen auf die kommunistische Vergangenheit und deren Instrumentalisierung heute. Im Gegensatz zu den 90er Jahren weisen diesmal aber auch rechtsliberale Intellektuelle und Medien darauf hin, dass es unglaubwürdig ist, vor einer Sozialdemokratie zu warnen, mit der man sich gerade auf die Bildung eines Übergangskabinetts geeignet hat, dem noch dazu vom Premier abwärts mehrere ehemalige Mitglieder Kommunistischen Partei angehören. Die Sozialdemokraten seien zwar nicht besonders sympathisch, aber doch keine Kryptokommunisten, sondern ein legitimer Bestandteil des politischen Lebens.

Diese Debatten zum Umgang mit der kommunistischen Vergangenheit und deren politischen Instrumentalisierung in der Gegenwart sind bis jetzt in der österreichischen Öffentlichkeit kaum rezipiert worden. Dies erklärt wohl auch, warum das Abdrucken von Dokumenten über die Kontakte von Helmut Zilk mit dem tschechoslowakischen Nachrichtendienst in den 60er Jahren aus Beständen, die seit fast zwei Jahren für jeden frei einsehbar waren, zur Sensation erklärt wurde.

Dabei spielte gerade die Öffnung der Geheimdienst-Archive und die Schaffung des "Instituts für die Erforschung totalitärer Regime" eine zentrale Rolle in der Auseinandersetzung der tschechischen Gesellschaft mit den 40 Jahren der KP-Herrschaft, die von einigen Paradoxa geprägt sind. So wurden zwar 1993 per Gesetz die Jahre der KP-Herrschaft als verbrecherisch deklariert, gleichzeitig jedoch nach der Samtenen Revolution die Kommunisten, die im Unterschied zu ihren "Bruderparteien" Namen und Ideologie beibehielten, in ihrem Bestand nicht angetastet. 2003 sicherten sie die Wahl von Václav Klaus zum Staatspräsidenten.

Zwar wurden umfangreiche Untersuchungen gegenüber ehemaligen Angehörigen des Unterdrückungsapparates durchgeführt, die gerichtlichen Verfahren verliefen aber meist im Sande, da wie in den anderen exkommunistischen Staaten die Legitimität der in der KP-Zeit erlassenen Gesetze nicht angezweifelt wurde. Die liberal-konservative ODS verstand sich als Speerspitze im antikommunistischen Diskurs, doch sind gerade unter ihrem Kadern der ersten Stunde viele KP-Mitglieder vor allem aus dem Bereich der Wirtschaft und "wissenschaftlich-technischen" Intelligenz zu finden, die 1989 die erstbeste Gelegenheit benutzt hatten, um sich nunmehr bei der weiteren Beschreitung ihrer Karriere einem kämpferischen Antikommunismus zu verschreiben. Dies konnte wiederum von ihren Kritikern dazu benutzt werden, auch den gewöhnliche Karrierismus, Opportunismus, aber auch andere, vielschichtige Motive von Funktionseliten unter dem Titel "Kommunismus" zu subsummieren und damit gründlich misszuverstehen.

Das Doppelgesicht der KP-Herrschaft der 70er und 80er Jahre unter dem Schlagwort der "Normalisierung" macht die Beurteilung der Vergangenheit nicht einfacher. Neben harten Verfolgungsmaßnahmen war das Regime der nach dem Prager Frühling installierten Statthalter Moskaus auch ein Versorgungsstaat, der der Bevölkerung soziale Annehmlichkeiten und Sicherheiten garantierte. Nicht mehr Terror und revolutionärer Umbau wie in den 50er Jahren, sondern lähmende Konservierung der Verhältnisse standen im Vordergrund.

Es entspricht zwar dem Erleben der Dissidenten, widerspricht aber dem kollektiven Gedächtnis breiter Bevölkerungsgruppen, wenn das Regime heute auf seine verbrecherischen Seiten reduziert wird. Die weit verbreitete Darstellung des Kommunismus als sowjetische Importware, die "mit uns" nichts zu tun hat, taugt zur Reflexion nur wenig: Sie erlaubt zwar moralische Empörung über die anderen und dient der Exkulpierung des eigenen Handelns, führt aber auch dazu, dass die unmittelbaren Nachkriegsjahre, in denen es unter demokratischen Vorzeichen zur Aberkennung der Bürgerrechte von Millionen Deutschen, Ungarn und zu einem massiven Linksschwenk kam, bei der Betrachtung meist ebenso ausgespart bleiben wie die Frage nach den Motiven der Intellektuellen, die nach 1948 daran gegangen waren, den Sozialismus "aufzubauen" und dabei die Verbrechen des Stalinismus duldeten.

Folgenforschung ohne Motivforschung bleibt aber folgenlos. Die Frage der tausenden Kerkerinsassen des Stalinismus nach der Verantwortung der intellektuellen Wegbereiter in die "Diktatur des Proletariats" ist genauso zu respektieren wie umgekehrt deren Hinweis auf die eigene Wandlungs- und Lernfähigkeit, die sie später selber nach der Niederschlagung des von ihnen wesentlich getragenen Prager Frühlings und der Charta 77 in die Kerker brachte. Eine medial aufgeheizte Stimmung macht es aber schwierig, differenzierten Beurteilungen abseits von Verurteilungen aus der sicheren Position des Gewinners heraus Raum zu geben.

Fraglich ist, ob der Hinweis auf Verbrechen der Vergangenheit zur Immunisierung gegenüber bestimmten politischen Strömungen der Gegenwart ausreichend ist, gründet sich doch der befürchtete Linksschwenk weniger im Retro-Wunsch nach dem Gestern als vielmehr in der Enttäuschung über die "Marktwirtschaft ohne Adjektive" von heute. Die Kommunisten setzen bei ihrem Versuch der Gewinnung neuer Wählerschichten über das meist im Seniorenalter befindliche Stammklientel hinaus daher auch weniger auf Marxismus als vielmehr auf eine Mischung aus nationalistischer und sozialistischer Rhetorik. Sie knüpfen damit an die Periode von 1945-1948 an, als es ihnen unter demokratischen Vorzeichen gelungen war, zur stärksten politischen Kraft aufzusteigen.

Ein Antikommunismus, der in einem Aufwaschen auch gleich Kategorien wie das Soziale oder den Sozialstaat als Markierungen des Totalitarismus einreiht, erscheint da intellektuell fragwürdig und politisch kontraproduktiv.

PS: Spiegelvergleiche zum österreichischen Umgang mit seiner NS-Vergangenheit, einem instrumentalisierten und je nach (partei-) politischem Bedarf eher variabel gehandhabten "Antifaschismus" von heute und dessen mangelnder Immunisierungskapazität gegen Vereinnahmungsstrategien der oben beschriebenen Art sind nicht unbedingt intendiert, aber auch nicht von der Hand zu weisen. (DER STANDARD, Printausgabe, 7.5.2009)