Unerschrocken und voll Hoffnung wächst der kleine Mann aus Macondo in seinen Hut und in diese Welt. Die Gruppe Cabula6 macht Kunst, die sich am Leben der Menschen beteiligt.

Foto: Ziegler

Sie klinkt sich mit dem Projekt "Life on Earth" in dort vorherrschende Strukturen ein.


Wer ist Publikum und wer Akteur? Die Zuordnungen werden im Performancebereich zusehends brüchig. Reale Schauplätze werden zu Bühnen, und Fakten sind von Fiktion durchdrungen. Die Performancegruppe Cabula6 operiert mit diesen Dynamiken. Die Österreicherin Claudia Heu und der aus Detroit stammende Tänzer und Schauspieler Jeremy Xido leiten die überwiegend im Ausland agierende Company seit 2003 gemeinsam.

Cabula6 (sprich Cabula seis) wurde benannt nach einem brasilianischen Stadtteil und bedeutet so viel wie "Schule schwänzen". Die Vielfalt an in der Gruppe vertretenen künstlerischen Sparten sorgt für eine stete Entwicklung von Darstellungs- und Verhandlungsformen. Zeitgenössischer Tanz ist dabei nur eine Kompetenz. Die Crew setzt sich je nach Projekt und Ort jeweils neu zusammen: aus Filmemachern, Fotografen, Architekten, Stadtplanern oder bildenden Künstlern.

Chilenischer Nachtportier

Ähnlich den Arbeiten von Rimini Protokoll, die ihre Handlungsräume ebenfalls im realen Leben suchen oder von dort auf die Bühne überführen, finden Performances von Cabula6 an ungewöhnlichen Orten statt: in Lastkraftwagen, Taxis, in Bussen, in Nachtlokalen. Und folglich werden Busfahrer oder Staßenmusikanten wie etwa im Vorgängerprojekt On Earth in Santiago de Chile zu Hauptakteuren.

Die künstlerische Arbeit entzündet sich auch durch Menschen, die man kennenlernt. Das gilt im besonderen Maß für die aktuelle Arbeit Life On Earth, die den dritten Teil einer vor drei Jahren mit Asi es la vida / So ist das Leben begonnenen Trilogie bildet und sich mit dem Gewordensein von Leben und Heimat befasst. Sie nahm ihren Ausgang im Gespräch mit dem chilenischen Nachtportier Ramón Villalobos, der Claudia Heu über seine eigene Lebens- und Reisegeschichte in die Flüchtlingssiedlung Macondo am Stadtrand von Wien führte.

Dort leben in einer von der Uno nach dem Zweiten Weltkrieg angekauften ehemaligen Kaserne heute mehr als 3000 Flüchtlinge, die sich in Communitys selbst organisieren: vor allem Menschen aus Ungarn (seit 1956), Tschechien (seit 1968), Chile und Vietnam (seit 1973) und jüngst auch Flüchtlinge aus Tschetschenien und Afghanistan. Die Bewohner haben ihre Siedlung nach dem Dorf Macondo in Gabriel García Márquez' Roman Hundert Jahre Einsamkeit benannt, in dem mehrere Generationen einer Familie durch die Zeiten begleitet werden.

Für die Dauer von sechs Monaten hat die Republik Österreich der Künstlergruppe eine Flüchtlingswohnung in der Siedlung zur Verfügung gestellt. Dort mischt sich Cabula6 in die vor Ort existierenden Strukturen ein und entwickelt sie mit eigenen Impulsen gemeinsam mit den Bewohnerinnen und Bewohnern weiter.

Zum Beispiel die Gärten: Das Areal von Macondo ist in seiner Größe mit dem Gehöft des Museumsquartier vergleichbar. Bis vor kurzem blühten dort prachtvolle Gärten, die in Eigenregie angelegt und über Jahrzehnte gepflegt wurden. Infolge einer Umwidmung von Grünland- zu Kleingartenflächen mussten sie allerdings weichen. Das durch die Künstler erwirkte temporäre Nutzungsrecht für ein kleines Landstück ermöglichte das Anlegen eines neuen Gartens, der nun samt einem zum Häuschen umfunktionierten Container ein Ort für nachbarschaftliche Begegnungen wurde.

Wie man einen Gast empfängt

Eine Performance im koproduzierenden Tanzquartier bildet den Abschluss des Projekts. In Anlehnung an die Begegnungen im neu aufzubauenden Garten (es ist nicht sicher, ob er übernommen werden kann) bietet Cabula6 am 12. und 13. Mai in den TQW-Studios einen Crash Course in puncto "Wie empfängt man einen Gast?".

Konzerte, Filmvorführungen, Ausstellungen, Dinners und Workshops waren und sind Teil des Macondo-Projekts. Spätestens im Juli wird Cabula6 aus der Siedlung wieder wegziehen, den Kontakt aber weiter halten. Infos zu den laufenden Ereignissen im Blog. (Margarete Affenzeller / DER STANDARD; Printausgabe, 7.5.2009)