Homöopathie und Narhungsergänzungsmittel werden in der öffentlichen Diskussion zu Unrecht vermengt.

Foto: Science Photo Library/Cordelia Molloy

Aus allen Richtungen der Alternativ- und Esoterikszene wird getrommelt: "Alternative Heilmittel in Gefahr - Petition unterschreiben!" In den Mailboxen landen "wichtige Nachrichten für ganzheitlich orientierte Menschen". Darin wird das "absolute Aus" für Heilpraktiker und Naturheilmittel-Verkäufer prognostiziert. Homöopathie, Schüssler-Salzen und Bachblüten drohe Gefahr durch eine "neue EU-Direktive" und den "Codex Alimentarius".

"Ein kompletter Unfug", sagt dazu Martin Peithner, Geschäftsführer der Peithner GmbH & Co, Apotheker und führender österreichischer Anbieter von Homöopathika. Die EU-Richtlinie über Nahrungsergänzungsmittel habe, so Peithner, mit Homöopathika nichts zu tun. Auch Barbara Leitgeb, Sprecherin der ÖGHM, der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathische Medizin, kann mit den Internet-Kampagnen nichts anfangen: "Diese Richtlinie betrifft uns nicht. Es besteht daher kein Handlungsbedarf."

Verwirrender Info-Mix

Dass Homöopathie und Nahrungsergänzungsmittel in der öffentlichen Diskussion immer wieder vermengt werden, stört Martin Peithner sehr: "Die einzige Gemeinsamkeit zwischen den Produktgruppen Homöopathie und Nahrungsergänzungsmittel besteht in deren Ausgangsstoffen, nämlich Pflanzen oder Mineralstoffen. Dies trifft aber ebenso auf Dieselöl, Autoreifen und Damenstrümpfe zu, welche alle aus Erdöl gewonnen werden, und doch kommt niemand auf die Idee, diese Produkte gleichzusetzen."

Ausgehend von einer Kampagne der britischen Vereinigung "Consumers for Health Choice", die sich für die "Rettung unserer Nahrungsergänzungsmittel" Promi-Unterstützung etwa von Paul McCartney geholt hat, wird von diversen Initiativen kräftig Stimmung gemacht. Und weil es mit Kettenmails wie mit dem Stille-Post-Spiel ist - bei jeder Station wird etwas falsch verstanden -, landet ein verwirrender Info-Mix aus Homöopathie und Nahrungsergänzung bei den verunsicherten Konsumentinnen und Konsumenten:

Der "Codex Alimentarius", die 1961 von der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO eingerichtete Sammlung von Lebensmittelstandards, wird mit der EU-Richtlinie 2002/46/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften über Nahrungsergänzungsmittel in den EU-Staaten und ihren Übergangsfristen gemischt, heraus kommt dann in diversen Mails und Foren das Ende von Homöopathie, Schüssler-Salzen und Bachblüten mit Ende 2009.

Peithner stellt klar: "Homöopathische Heilmittel, dazu gehören auch die Schüssler-Salze, sind seit 1983 in Österreich im Arzneimittelgesetz als Arzneimittel definiert, seit 2001 auch im Rahmen der EU-Richtlinie 2001/83 sowie aller dazu erlassenen Novellen. Damit sind Homöopathika zulassungs- und registrierungspflichtig.

Blüten und Vitamine

Bachblüten sind zwar keine Arzneimittel, Anhänger der Bachblüttentherapie müssen sich um ihre Essenzen dennoch keine Sorgen machen. Denn Bachblüten, beruhigt der Wiener Pharmazeut und Apotheker Martin Doskar, "gehören nirgends dazu, schon gar nicht zu den Nahrungsergänzungsmitteln".

Die, laut ihrem Erfinder Edward Bach, auf geistig-seelischer Ebene harmonisierenden Blütenessenzen sind weder Arznei- noch Nahrungsergänzungsmittel. Für Doskar ist das "keine glückliche Lösung". Eine Zuordnung der Bachblüten als Arznei- oder auch als Lebensmittel, wie in einigen deutschen Bundesländern, gäbe den Konsumentinnen und Konsumenten mehr Sicherheit. Schließlich sei der Markt "riesengroß" und damit auch die Vielfalt der Anbieter.

Gänzlich unüberschaubar ist für Laien das Angebot an Nahrungsergänzungsmitteln. Vitamine, Mineralien, Pflanzen für jede Lebenslage und jedes Wehwehchen werden angeboten. Allein in Deutschland wird der Markt auf eine Milliarde Euro geschätzt, in Europa auf annähernd sechs Milliarden. Gut ein Viertel der Nahrungsergänzer wird direkt vertrieben.
Sicherheit für Konsumenten

Intention der EU-Nahrungsergänzungsmittel-Richtlinie ist es, den Wildwuchs einzudämmen, eine klare Grenze zwischen Arzneimittel und Ergänzung zur Ernährung zu ziehen.

Amire Mahmood, Lebensmitteljuristin im Gesundheitsministerium, erklärt, worum es bei der EU-Richtlinie tatsächlich geht: "Die Nahrungsergänzungsmittel-Richtlinie 2002/46/EG gibt den Rahmen für die Harmonisierung vor. Sie beinhaltet die Definition von Nahrungsergänzungsmitteln, Kennzeichnungsbestimmungen und regelt, was in Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sein darf."

Ergänzt wird die Richtlinie durch eine Liste von Vitaminen und Mineralstoffen, die für Nahrungsergänzungsmittel erlaubt sind. Mahmood: "Abweichend von dieser Liste kann jeder Staat auf seinem Hoheitsgebiet andere Vitamine und Mineralstoffe zulassen, vorausgesetzt, die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit spricht sich nicht dagegen aus." Grundlage für die Entscheidung sind Dossiers, die Firmen einreichen mussten. Die Frist für diese Ausnahmeregelung läuft am 31. 12. 2009 ab.

Anlass für die britische Kampagne zur "Rettung der Nahrungsergänzungsmittel" ist die Absicht der EU, auch Höchstmengen an Vitaminen und Mineralstoffen festzulegen. Mahmood: "Die Höchstmengen sollen durch wissenschaftliche Risikobewertung ermittelt werden, wobei unterschiedliche Sensibilitäten der einzelnen Verbrauchergruppen berücksichtigt werden und auch die Mengen von Vitaminen und Mineralstoffen, die durch die Ernährung aus anderen Quellen zugefügt werden."

Traditionsreiche Debatte

Über Grenzwerte für Vitamine und Mineralstoffe würde in europäischen Gremien seit "mindestens 15 Jahren diskutiert", sagt Martin Peithner, der die österreichische Industrie im Herbal Committee der AESGP, dem europäischen Dachverband der rezeptfreien Arzneimittelindustrie (OTC), vertritt. Sein Fazit: "Es gelingt schlicht und ergreifend nicht."

Widerstand käme vor allem aus Großbritannien, wo Vitamine in hohen Dosen zugesetzt werden dürfen. Grund dafür sei, dass man im angloamerikanischen Raum davon überzeugt sei, dass man mit hochdosierten Vitaminen zusätzlich zur Nahrung bestimmten Erkrankungen vorbeugen könne. Peithner: "Es gibt aber auch Studien, die belegen, dass hohe Vitaminbelastung sogar Krebs auslösen könnte."

Die Studien seien von gleichem Qualitätsniveau. Welche Richtung recht hat, wisse man heute noch nicht. In Österreich gelte daher der Konsens: "Ausgewogene Ernährung mit frischen Produkten liefert ausreichend Vitamine und Mineralstoffe." (Jutta Berger, DER STANDARD Printausgabe, 10.05.2009)