München - Den Aussagen und Gesten von Papst Benedikt XVI. während seines Israel-Besuchs sind am Mittwoch zahlreiche internationale Pressekommentare gewidmet:

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Die Schwierigkeit des Dialogs zeigen ein ängstlicher Papst und enttäuschte Juden. (...) Benedikt XVI. hat auf seiner Pilgerreise mit den richtigen Worten der Opfer der Schoah gedacht und den Judenhass verurteilt. Und hat doch nicht die richtigen Worte gefunden; abgewogen formuliert kamen sie, aber bemüht, emotionsarm, ohne Risiko. Der Papst hätte über seine deutsche Herkunft reden können, über zwei eng verbundene Religionen mit furchtbarer gemeinsamer Geschichte, über die Verantwortung der katholischen Kirche dafür, dass diese Geschichte nicht vergessen wird. Er hat aber geredet, als wirkte noch das Trauma der Affäre um den Traditionalisten-Bischof und Holocaust-Leugner Williamson: bloß keinen Fehler machen. Den hat er nicht gemacht. Aber er hat auch die Chance verpasst, Außergewöhnliches zu sagen."

"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):

"Eine persönliche Botschaft wurde von diesem Papst in Israel erwartet, wenn nicht gar eine Entschuldigung, gewissermaßen stellvertretend für alle Deutschen seiner Generation. Es fehlte auch nicht an Versuchen, dem prominenten Pilger auf subtile Weise antisemitische Neigungen anzudichten, etwa durch die ständige Erinnerung daran, dass sich unter den vier traditionalistischen Bischöfen, deren Exkommunikation er - kirchenrechtlich und theologisch wohlbegründet - rückgängig gemacht hatte, ein notorischer Holocaust-Verharmloser befindet. Wie der Besuch Yad Vashems einmal mehr gezeigt hat, liegt Benedikt XVI. weder die ostentative Zurschaustellung von Emotionen noch die große symbolische Geste, auf die sich sein Vorgänger Johannes Paul II. so sehr verstanden hatte."

"Frankfurter Rundschau":

"Benedikt XVI. hat noch nichts Falsches gesagt. Das ist kein Grund, ihn zu loben, denn der Preis für Zurückhaltung ist Oberflächlichkeit. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem die Schoah zu verurteilen ist keine intellektuelle Leistung, sondern moralische Selbstverständlichkeit. Die Warnung vor der 'hässlichen Fratze' des Antisemitismus ist wohlfeil, wenn das Kirchenoberhaupt mit dem Finger auf die Welt zeigt, ohne dazu zu sagen, dass er es war, der einen Holocaust-Leugner in den Schoß der katholischen Kirche zurückgeholt hat. Es ist nicht von dieser Welt, wenn der Papst vom Frieden als einem 'Geschenk' spricht, wo im sogenannten Heiligen Land heute jedes Kind weiß, dass Frieden niemand geschenkt wird, sondern verhandelt und hart erarbeitet werden muss, die Gefahr des Scheiterns immer inbegriffen."

"Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ):

"Es kam, wie es kommen musste. (...) Dem Papst wurde angekreidet, dass er in Yad Vashem gerade nicht jene Signale aussandte, die sich wohl nicht wenige von ihm erhofft, ja erwartet hatten: Worte, die zu erkennen gegeben hätten, dass der Mann im weißen Gewand auch ein Sohn jenes Volkes ist, in dessen Namen die Vernichtung von sechs Millionen Juden ins Werk gesetzt wurde. Worte, denen zu entnehmen gewesen wäre, wie er empfindet, Zeitzeuge der Schoah gewesen zu sein; Worte, die - wenn er schon nicht als Deutscher hätte sprechen wollen, so doch als Papst - nochmals die Verstrickung der katholischen Kirche in die unselige Geschichte des Antisemitismus benannt hätten. Es wäre naiv, anzunehmen, der Papst habe diese Erwartungen nicht gekannt oder sie nicht sorgsam erwogen. Aber den Ausschlag gegeben haben offenbar die Gründe, ihnen nicht zu entsprechen, trotz wohlweislicher Voraussicht des Kommenden."

"Stuttgarter Zeitung":

"Gewiss, wenn ein Papst in Yad Vashem trauert, dann ist das kein individuelles, sondern ein kommunikatives Geschehen. Man kann danach erörtern, ob es beim Gegenüber angekommen ist. Aber ihm die Ernsthaftigkeit allein deshalb abzusprechen, weil Benedikt XVI. nicht jedes vorgeschriebene Wort abgehakt hat, ist einfach unseriös. Manchmal - nicht zuletzt in den Kommentaren etlicher Medien - scheint es, als ob Jahrzehnte nach dem Holocaust, in einer Zeit, da die 'Gerechten unter den Völkern' altershalber immer weniger werden, die Zahl der Selbstgerechten wächst. Doch das ist genau der falsche Ansatz, das Gedenken an den Holocaust als unauslöschliche Mahnung an eine immer verführbare Menschheit lebendig zu halten."

"Westdeutsche Zeitung" (Düsseldorf):

"Benedikt XVI. kam nicht als deutscher Politiker nach Israel, sondern als Führer einer Weltreligion. Für Nazi-Deutschland entschuldigt sich das deutsche Staatsoberhaupt oder auch die deutsche Regierungschefin - aber nicht der Papst. Außerdem ist Yad Vashem eine Gedenkstätte für die Opfer. Es ist nur folgerichtig, dass sich Benedikt dort allein auf sie konzentriert hat."

"La Croix" (Paris):

"So wie Papst Johannes Paul II. 2000 eine prophetische Geste tat, indem er in eine Spalte der Jerusalemer Klagemauer eine Bitte um Entschuldigung der Katholiken für so viel den Juden zugefügtes Leid steckte, so hat Benedikt XVI. auf seine Art dem Aufenthalt in Jerusalem Symbolkraft gegeben, indem er dort den Gott Abraham für alle seine Kinder anrief, für Juden, Christen und Muslime. Hätte er in diesem Augenblick der Geschichte nicht für alle gebetet, wäre dies so gewesen, als hätte er für niemanden gebetet."

"Handelsblatt" (Düsseldorf):

"Der Besuch des deutschen Papstes in Israel ist wieder von schrillen Nebengeräuschen begleitet worden. So warf ihm Parlamentspräsident Reuven Rivlin in einem Rundfunkinterview vor, seine Mitschuld an der Vergangenheit zu verniedlichen. Anders als von vielen Juden erhofft, war der Papst in seiner Rede in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem auch nicht auf die Rolle der Kirche bei der Ermordung von sechs Millionen Juden während des Zweiten Weltkriegs eingegangen."

"Der Tagesspiegel" (Berlin):

"In Yad Vashem war der Papst, das Oberhaupt einer Weltkirche, vor allem der Papst aus Deutschland. So wurde er wahrgenommen in der israelischen Öffentlichkeit. Erst recht beobachtete Deutschland in Yad Vashem den 'Wir sind Papst'-Benedikt, der eine öffentliche Kritik der Kanzlerin auf sich gezogen hat, als er die Exkommunikation des Holocaust-Leugners Bischof Williamson aufhob. Der Holocaust als singuläres Verbrechen gehört zum Selbstverständnis der geläuterten Nation. Und wenn es eine deutsche Tugend nach 1945 gibt, dann die Fähigkeit, dem Schrecken, der Schuld, der Verantwortung der eigenen Geschichte ins Gesicht zu sehen. Die Auslieferung (des KZ-Wächters) Demjanjuks (durch die USA), der deutsche Papst in Yad Vashem - zwei Ereignisse, die nur zufällig im Monat des deutschen Verfassungsjubiläums stattfinden, sind für die Deutschen einmal mehr der Fingerzeig: Zur deutschen Normalität gehört das Nichtvergessen und die Bereitschaft, dazu beizutragen, die Opfer des monströsen Verbrechens zum 'Menschengedenken' zu machen."

"Mitteldeutsche Zeitung" (Halle):

"Drei der klippenreichsten Punkte seiner Visite - die Besuche in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, an der jüdischen Klagemauer und im muslimischen Felsendom - hat Benedikt inzwischen hinter sich. Bei einer gerechten Beurteilung kann man ihm keine gravierenden Fehler vorwerfen. Freilich spürt der deutsche Papst auf Schritt und Tritt, dass er an seinem Vorgänger Johannes Paul II. gemessen wird, der bei seinem Besuch eindrucksvoll um Vergebung für das Leid gebeten hatte, das den Juden in jahrhundertelanger Verfolgung durch die Christen zugefügt worden ist. Die Versöhnungsgesten des polnischen Pontifex lassen sich schwerlich übertreffen. (...) Zu Recht hat auf jüdischer Seite sowohl in Teilen der israelischen Öffentlichkeit als auch beim Zentralrat der Juden in Deutschland Benedikts Rede in Yad Vashem für Enttäuschung und auch Kritik gesorgt. Zwar fand er bewegende Worte für die Opfer des Holocaust, aber nicht die Kraft, die Täter und deren Schuld auch zu benennen. Auch auf eine Klarstellung zur Rolle der Kirche im Dritten Reich wartete man in der Rede des Oberhaupts der katholischen Kirche vergebens."

(APA)