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Wissen:

ALS (amyotrophe Lateralsklerose) ist eine chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems, wobei ausschließlich der motorische Teil des Nervensystems betroffen ist.

Für den Patienten ergeben sich daraus eine zunehmende Muskelschwäche, Muskelschwund, Muskelzittern, Muskelkrämpfe und eine erhöhte Muskelspannung. Die ersten Symptome zeigen sich in den meisten Fällen an den Extremitäten (spinale Form). 25% der Patienten leiden unter der bulbären Form, die mit Sprech- oder Schluckstörungen beginnt.

Der Verlauf ist sehr unterschiedlich, eine Prognose daher nicht möglich. Meist beginnt die Erkrankung in der fünften oder sechsten Lebensdekade. Bei 5% der ALS-Kranken wird ein sehr langsamer zeitlicher Verlauf beschrieben, die durchschnittliche Krankheitsdauer liegt zwischen drei und fünf Jahren.

ALS zählt zu den sogenannten „Orpan diseases". Weltweit erkranken von 100.000 Menschen pro Jahr ein bis drei neu.

Foto: APA/Harald Schneider

derStandard.at: Wann haben sie das erste Mal bemerkt, dass irgendetwas mit Ihnen nicht stimmt?

Thomas B.: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich nehme an, es war zu einem Zeitpunkt, als ich noch als Lehrer tätig war. So ungefähr vor sechs Jahren ist mir beim Unterrichten aufgefallen, dass meine Finger so gezittert haben, dass ich befürchtete, meine Schüler könnten denken ich hätte ein Alkoholproblem. Dass dahinter mehr stecken könnte, vermutete ich damals selbst noch nicht. Als nach einiger Zeit, die Kraft in meinen Händen nachgelassen hat, bin ich zum Arzt gegangen und habe eine Gesundenuntersuchung gemacht. Da hat man nichts gefunden. Auffallend waren nur meine Leberwerte.

derStandard.at: Wie lange hat es dann noch bis zur Diagnose gedauert?

Thomas B.: Ungefähr drei Jahre. Ich hatte dabei schon mehrere Internisten aufgesucht. Keiner davon kam auf die Diagnose. Meiner Frau ist jedoch irgendwann aufgefallen, dass auch meine Oberarme zu zittern begannen. Sie hat mich dann zu einem Neurologen geschickt. Im Herbst 2005 ist die Amyotrophe Lateralsklerose erstmalig als Differentialdiagnose im Raum gestanden. Im Februar 2006 war die Diagnose fix. Die hohen Leberwerte Jahre davor waren damit auch erklärt. Sie sind durch den hohen Zellzerfall in meinem Körper zustande gekommen.

derStandard.at: Wie alt waren Sie zu diesem Zeitpunkt und wie war Ihre erste Reaktion?

Thomas B.: 57. Für mich und meine Familie war die Diagnose wie ein Keulenschlag. Es zieht einem den Boden unter den Füssen weg, wenn das Leben, das man bis zu diesem Zeitpunkt geführt hat, mit einem Schlag anders wird.

derStandard.at: Wie leben Sie heute damit?

Thomas B.: Mittlerweile bestimmt die Krankheit mein ganzes Leben. Jede einzelne Bewegung erinnert mich daran. Ich leide sehr unter dieser zunehmenden Muskelschwäche. Ich bin nicht gelähmt, aber ich bin so kraftlos, dass ich mich nicht mehr alleine anziehen kann.

derStandard.at: Wie gestaltet sich ihr Tagesablauf?

Thomas B.: Ich schlafe relativ lange, dann hilft mir meine Frau beim Aufstehen, Anziehen, beim Toilettengang und beim Waschen. Anschließend lese ich die Zeitung und mache dann meine Gymnastikübungen, so weit ich noch kann. Dann fahre ich zum Therapeuten um meinen Rumpf zu trainieren und zweimal pro Woche bringt mich meine Gattin zur Akupunktur, denn Autofahren kann ich leider nicht mehr.

derStandard.at: Was erfreut Sie?

Thomas B.: Mein Garten. Sobald das Wetter schön ist, gehe ich hinaus und erfreue mich an der Natur. Zum Glück ist es mir noch möglich zu gehen, wenn auch nur kurze Strecken. Gartenarbeit kann ich aber leider kaum mehr verrichten. Ich freue mich aber über alles was ich noch machen kann und sei es nur ein Unkraut aus der Erde herauszuzupfen.

derStandard.at: Was deprimiert Sie?

Thomas B.: Dass ich ein Pflegefall bin und dass ich mich optisch so sehr verändere. Viele betrachten mich in der Badehose wie einen Aussätzigen, weil ich so verhungert aussehe. Generell haben die meisten Menschen von dieser Erkrankung ein völlig falsches Bild. Ein Bild, das von dem bekannten Physiker Stephen Hawkins maßgeblich mitgeprägt worden ist. Jeder redet nur davon, wie toll dieser Mann sein Leben meistert und vergisst dabei zwei wesentliche Dinge: Erstens besitzt Hawkins ganz andere Apparaturen um sich den Alltag zu erleichtern und zweitens - und das erscheint mir noch wichtiger - steht bei diesem Mann der Intellekt im Vordergrund. Für mich war jedoch immer der Sport ein ganz wichtiger Teil meines Lebens. Ich kann mich nicht damit abfinden, dass ich all meine motorischen Fähigkeiten verloren habe.

derStandard.at: Wie hat die Umwelt auf Ihre Erkrankung reagiert?

Thomas B.: Meine Familie - meine Frau und meine beiden Buben - und meine Freunde helfen mir sehr. Wobei helfen bei einem ALS-Kranken eine große Herausforderung für die Helfenden darstellt. In der Nacht beispielsweise ist es mir nicht mehr möglich, beim Umdrehen alleine die Decke hochzuziehen. Das ist Schwerstarbeit für mich. Für meine Frau, die eine Ausbildung zur Operationsschwester besitzt, bedeutet die Erkrankung daher eine Menge Mitarbeit. Meine Freunde haben die Erkrankung als Teil meines Lebens akzeptiert. Das Thema wird nicht totgeschwiegen, steht aber auch nicht im Vordergrund.

derStandard.at: Welche therapeutischen Möglichkeiten stehen ihnen außer Physiotherapie und Akupunktur, noch zur Verfügung?

Thomas B.: Ich schlucke regelmäßig Rilutek, ein Medikament, das im besten Fall eine Verlangsamung der Erkrankung bewirken soll. Ich kann nicht behaupten, dass es mir hilft, schlucke es aber trotzdem. Ich halte mich immer am laufenden und hoffe dass es für kommende Generationen Hilfe geben wird. Derzeit ist die traurige Wahrheit, dass es nichts gibt, was hilft.

derStandard.at: Können Sie der Erkrankung irgendetwas Positives abgewinnen?

Thomas B.: Ich würde ALS meinem ärgsten Todfeind nicht wünschen und ich kann mich nur darüber wundern über welche Dinge sich manche Menschen eigentlich aufregen. Die meisten wissen einfach nicht, wie schwer es ist, wenn man eine Erkrankung hat, wo jeder einzelne Tag eine Plage ist.

derStandard.at: Sind sie lebensmüde?

Thomas B.: Ich darf nicht lebensmüde sein. Ich will mit meiner Frau und meinen Kindern zusammen sein. Und aufgeben tut man einen Brief. Ich selbst gebe mich nicht auf. ( Regina Philipp, derStandard.at, 19.05.2009)