Wien - Seit mehr als eineinhalb Jahren (August 2001) liegt eine vom Sozialministerium in Auftrag gegebene Studie zum Thema "Soziale Ungleichheit und Gesundheit" unter Verschluss. Das wichtigste Ergebnis der unabhängigen Forschungsarbeit zeigt, dass "Menschen mit geringem Einkommen (rezeptgebührenbefreite Personen) unabhängig von ihrem Alter und Geschlecht mehr gesundheitliche Probleme haben und das Gesundheitssystem daher öfter in Anspruch nehmen als Durchschnittsösterreicher."
Vor dem Hintergrund der Debatte um die von der schwarz-blauen Regierung geplante Einführung neuer Selbstbehalte für alle Versicherten bekommen die Ergebnisse, die sich mit anderen Studien decken (DER STANDARD berichtete), eine besondere Bedeutung. Das unabhängige Österreichische Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) nennt nämlich "finanzielle Barrieren (Stichwort: Selbstbehalte)" neben dem Nichtversichertenstatus als erste und wichtigste Hürde zur Gesundheitsversorgung.
Gerade sozial Schwache und von Armut bedrohte Gesellschaftsgruppen könnten, so die Autoren, "die Leistungen des Gesundheitssystems nur schwer aktiv auswählen".
Medizinische Versorgungsangebote müssten daher "zu den armen Bevölkerungsgruppen hin orientiert werden" - etwa durch interdisziplinär angelegte Versorgungszentren oder Ambulanzen innerhalb eines Gebäudekomplexes.
Armut bekämpfen
Prinzipiell sei "die Änderung der sozialen Umwelt effektiver als die Änderung des individuellen Verhaltens", so die Studie, die für das Gegenteil von Selbstbehalten plädiert - also monetäre Anreize zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen.
"Am wichtigsten ist es jedoch, anhaltende Armut, Langzeitarbeitslosigkeit sowie dauerhafte Überschuldung als bedeutsame krankheitsverursachende Faktoren zu erkennen und diese ursächlichen Determinanten selbst zu bekämpfen." Die Experten betonen die Bedeutung "nicht unmittelbar gesundheitsspezifischer Maßnahmen" wie "Arbeitsplatzsicherung und Senkung der Arbeitslosenquote" sowie "Überlegungen zur Einführung eines Grundeinkommens".
Conclusio der Armutskonferenz, eines Netzwerks österreichischer Sozialorganisationen: "Soziale Investitionen sind eine gute Medizin." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.3.2003)