Der Wahlkampf ist geschlagen, doch die Wahlen sind noch lange nicht entschieden: Nachwahlbefragungen und Prognosen in der Eine-Milliarde-Demokratie Indien sind notorisch ungenau, die eigentliche Entscheidung über die künftige Zentralregierung fällt erst nach der Veröffentlichung der Wahlergebnisse am Samstag in schwierigen, wochenlangen Verhandlungen. Aber zwei Entwicklungen sind absehbar - es wird eine schwache Koalition werden, die am Ende in Neu-Delhi antritt; und regionale Führer gewinnen noch mehr Gewicht auf der nationalen Bühne.

Indiens Demokratie ist so mit den Wahlen von 2009 in eine neue Zeit getreten. Nicht gerade in eine, die mehr politische Stabilität verspricht und Frieden unter den Glaubensgemeinschaften, sondern noch mehr Zersplitterung und schwindende Zugkraft der beiden großen Parteien - der Kongresspartei der Gandhi-Familie und der Hindupartei BJP. Doch verglichen mit seinen Nachbarn China und Pakistan bleibt Indien ein glänzendes Ausnahmeprojekt.

Sollte die Kongresspartei ihren kleinen Vorsprung vor der BJP behalten, wird sie um die Gunst der Kommunisten und regionaler Gewinner wie Jayalalithaa Jayaram aus dem südlichen Bundesstaat Tamil Nadu und Mamata Banerjee, einer anderen linkspopulistischen Politikerin aus Westbengalen, werben. Sind die Hindu-Nationalisten der BJP erfolgreicher beim Koalitionsbau, kommt ein gefährlicher Mann zum Zug: Narendra Modi. Der Regierungschef von Gujarat wird für das Muslim-Pogrom von 2002 verantwortlich gemacht. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 15.5.2009)