Hochregallager sind die Getreidesilos des 21. Jahrhunderts. Klobig, maßstabslos, voluminös. Mit bis zu 45 Metern Höhe prägen die Depots weltweit Industriegebiete und Gewerbezonen. In architektonischen Kleidungsfragen wird ihnen dabei nur wenig Aufmerksamkeit zuteil. Als gäbe es kein Morgen mehr, werden die großen Speichermammuts von oben bis unten in fahles, abweisendes Trapezblech gewickelt. Vom Surren der Motoren, vom Fauchen der Hydraulik und vom Klimpern der Metalle kriegt man draußen in der Regel kaum etwas mit.
"Unserer Erfahrung nach legen die Kunden keinen allzu großen Wert auf die Optik" , sagt Armin Stolzer, geschäftsführender Gesellschafter des deutschen Unternehmens Kasto Maschinenbau, "ein Hochregallager ist ein klassischer Zweckbau, wenn nicht sogar eine der zweckdienlichsten und pragmatischsten Gebäudeformen überhaupt." Viel Spielraum habe man als Planer dabei nicht. Kompaktheit und Kistenflair sind gottgegeben. Alles Übrige entwickelt sich in strenger Manier aus Logik und Logistik.
Hoch bauen
Die Höhe der Regallager hat gleich zwei Gründe: "In bestimmten Regionen wie Japan, aber beispielsweise auch im Raum Zürich, sind Liegenschaften so exorbitant teuer, dass es auf jeden Fall Sinn macht, hoch zu bauen" , erklärt Stolzer. Bei 45 Metern ist Schluss. Wegen der Fundamentlasten und der zunehmenden Windkräfte, denen das Bauwerk standhalten muss, geht jeder weitere Höhenmeter zu Lasten der Wirtschaftlichkeit. Auch die handelsübliche Maschinentechnologie stößt irgendwann an ihre Grenzen."
Die Bauhöhe hat auch mit Tempo und Effizienz zu tun. Während sich die fahrbaren Roboter mit 60 bis 240 Metern pro Minute horizontal durch den Raum bewegen, kann die Palettengabel gleichzeitig auf und ab fahren. Stolzer: "Über einen ganzen Lebenszyklus gerechnet ist jede gewonnene Sekunde von Bedeutung. Durch die synchrone Bewegung in der Ebene und in der Höhe erspart man sich viel Zeit und schafft auf diese Weise mehr Doppelspiele pro Stunde."
Unter einem Doppelspiel versteht man den Weg des Regalbediengeräts innerhalb des Lagers: In einem zeitlich exakt aufeinander abgestimmten Ablauf wird das Hochregal auf der Hinfahrt mit Ware bestückt, während etwaige benötigte Ware auf der Rückfahrt sogleich entnommen und an der Übergabestation, sozusagen dem Schlund des Speichers, auf den Lkw verladen wird.
Regal trägt Fassade
Kleinere Hochregallager bewerkstelligen 40 bis 60 Doppelspiele pro Stunde, größere Lager mit unweit längeren Gängen schaffen in der gleichen Zeit an die 35 Manipuliervorgänge. Die vollautomatische Software ist so programmiert, dass produktgleiche Paletten auf mehrere Gänge aufgeteilt werden. Sollte eine der Rollmaschinen wegen technischen Gebrechens oder im Falle einer Wartung nicht einsatzfähig sein, ist auf diese Weise ein uneingeschränkter Betrieb gesichert.
"Am meisten fasziniert mich die Bauweise der Hochregallager" , sagt Frank Freudenberger, Logistikleiter in der deutschen Würth Industrie Service GmbH, "im Gegensatz zu jedem anderen Bauwerk wächst ein Hochregal nämlich von innen nach außen." Bevor das Lager rundherum in eine wetterfeste Hülle eingehaust wird, muss das Stahlregal fix fertig montiert sein. Ganz nach dem Motto: erst die Möbel, dann das Haus.
Simple Angelegenheit
"Eine Außenmauer im herkömmlichen Sinn ist nicht nötig. Wenn ich schon ein Grundgerüst habe, das in der Lage ist, bis oben hin tonnenschwere Lasten zu tragen, dann ist der statische Mehraufwand für die Fassadenkonstruktion beinahe vernachlässigbar." Die Montage der Fassade ist eine simple Angelegenheit. Trapezblech und Wärmedämmung werden als Sandwich-Paneel direkt an die Regalkonstruktion geschraubt. "In unserem Hochregallager in Bad Mergentheim bei Würzburg erfüllt die Wärmedämmung einen einzigen Zweck" , erklärt Freudenberger, "weniger als dem Schutz vor Hitze dient sie dem Schutz vor Kälte." Die eingelagerten Werkzeuge und Bauhilfsstoffe haben einen Kunststoffanteil, demzufolge die Innenraumtemperatur nicht unter elf Grad Celsius fallen darf. "Alles, was darunter ist, schwächt die Festigkeit und Elastizität unserer Lagerprodukte." Ein Tribut an die Landschaft ist auch das Würth-Hochregallager nicht. Wie hübsch kann eine plumpe Kiste mit knapp 200.000 Kubikmetern Rauminhalt schon sein?
Es geht auch anders. Vorarlberg beispielsweise verfügt über ein paar überaus ansehnliche Lagerboxen aus Architektenhand - cooles Industrieglas und Blechschindeln inklusive. Das wohl auffälligste Hochregallager jedoch stammt vom Berliner Büro Sauerbruch Hutton und steht in Waldshut, Deutschland. Für den Sitzmöbel-Produzenten Sedus wurde ein bestehendes Lager aus dem Jahre 1992 erweitert und neu eingekleidet. Über 17.000 Stahlpaneele in 20 Farbtönen wurden, Stück für Stück, nach einem exakten Verlegeplan der Architekten an die Fassade montiert. Das Resultat: ein Pixelbild in der Landschaft, das wohl jeden noch so schönen Getreidesilo aus dem vorigen Jahrhundert in den grauen Schatten stellt. (DER STANDARD; Print-Ausgabe, 19.5.2009)