Der Rückzieher von Wissenschaftsminister Johannes Hahn in Sachen Cern-Austritt hätte niemanden überraschen dürfen. Spätestens seit ihm der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll - natürlich nur metaphorisch - mit seinen Weinviertler Schlägertruppen gedroht und Bundeskanzler Werner Faymann in etwas zivilisierteren Worten das Ungemach des Koalitionspartners über den Austritt aus einem internationalen Prestigeprojekt mitteilen ließ, war es klar, dass Hahn nicht mehr auf die Rückendeckung seines Parteichefs Josef Pröll zählen könne, auf die er sich am Samstag noch berufen hat.

Und so forsch der Forschungsminister anfangs angetreten war, so schnell hat ihn dieser Mut wieder verlassen. Schließlich übernimmt Faymann die Verantwortung, dass Österreich weiterhin 20 Millionen Euro im Jahr in ein Projekt hineinbuttern wird, an das der zuständige Fachminister nicht mehr glaubt - fehlende Richtlinienkompetenz des Kanzlers hin oder her. Es gehört zur Logik einer Kuschelkoalition, dass sich letztlich immer jene Seite durchsetzt, die lauter schreit und härter auf die Bremse steigt. Das nützt ihrem Fortbestand, allerdings nicht ihrer Reformfreude.

Viele Beobachter werden zwar nicht mit der Vorgangsweise, aber mit dem Ergebnis zufrieden sein. Österreich bleibt ein - wenn auch unbedeutender - Spieler in der Teilchenphysik, die angedrohte Blamage findet nicht statt, und die Wiener Neustädter müssen nicht um ihr Med-Austron-Zentrum zittern. Und wenn in einigen Jahren bei Cern das "Gott-Teilchen" gefunden oder andere Durchbrüche gemeldet werden, dann darf auch Österreich mitfeiern. Der energische Widerstand aus der Forschergemeinde gegen den Cern-Austritt - die Befürworter hielten fast alle still - war ein deutliches Zeichen, dass Hahn seinen Schritt zumindest politisch schlecht vorbereitet hat.

Aber ganz unüberlegt war er nicht. Denn es gibt tatsächlich eine Fülle von europäischen Forschungsprojekten, in denen Österreich seine Stärken viel besser ins Spiel bringen könnte als beim milliardenteuren Teilchenbeschleuniger. Aktive Forschungspolitik fordert, gelegentlich bestehende Prioritäten zu überdenken und neue zu setzen - selbst oder gerade wenn man bereits seit 50 Jahren dabei ist. Ein solches Vorgehen ist kein antiwissenschaftliches Banausentum, sondern eröffnet kreative Möglichkeiten, auf die das Land nun verzichten müssen wird.

Natürlich kann man jetzt lautstark mehr Geld für die Grundlagenforschung fordern, aber das wird es angesichts der extrem knappen Kassen nicht geben. Die Regierung muss sich in solchen Fragen entscheiden - und sie entschied sich für den Status quo.

Fast könnte man glauben, Hahn habe mit seiner Ankündigung in Wirklichkeit ein politisches Experiment starten wollen: Ist es in Österreich möglich, bewährte Traditionen aufgrund nüchterner Kosten-Nutzen-Rechnungen über Bord zu werfen? Das Ergebnis war schnell und eindeutig: Selbst auf einem Gebiet, für das sich weder der Durchschnittswähler noch die Krone interessiert, können Kosteneinsparungen nicht durchgesetzt und auch kaum ernsthaft diskutiert werden.

Das ist ein ganz schlechtes Vorzeichen für die Erfolgschancen einer Verwaltungsreform, von der die wirtschaftliche Zukunft des Landes entscheidend abhängt. Hahns Cern-Experiment hat zwar keinen Aufschluss über physikalische Elementarkräfte gegeben, sehr wohl aber über die politischen: Wer Erwin Pröll oder andere Landeshauptleute verärgert, der hat bereits verloren. Und im Konfliktfall bleibt hierzulande alles beim Alten. Denn schmerzhafte Entscheidungen und politisches Rückgrat sind einfach unösterreichisch. (Eric Frey/DER STANDARD, Printausgabe, 19. 5. 2009)