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Angewandte Materienforschung mit Johannes Hahn: "Es wird gebeten, den Teil nicht mit dem Ganzen zu verwechseln ..."

Foto: APA/Schlager

Dass nach dem "Machtwort" des Bundeskanzlers die Mitgliedschaft Österreichs beim Cern-Projekt außer Streit gestellt scheint, ist natürlich erfreulich.

Die zentralen Argumente für den Verbleib Österreichs beim Cern sind ja hinlänglich bekannt, ihre Stichhaltigkeit nunmehr also auch von höchster Regierungsstelle offiziell "beglaubigt": Grundlagenforschung an vorderster Front, unmittelbar bevorstehende Inbetriebnahme des LHC, Reputation Österreichs als verlässlicher Partner bei europäischen Projekten, Zukunftsaussichten der studierenden Jugend, MedAustron, etc.

Als Physiker ist es mir allerdings ein Anliegen, noch auf ein paar Aspekte zu verweisen, die bisher in der Debatte zu kurz gekommen sind - im Hinblick auf eine seriöse Fortführung des forschungspolitischen Grundsatzdikurses aber in Erinnerung bleiben sollten:

1. Bundesminister Hahn begründete den geplanten Ausstieg auch damit (7. 5.), "dass die Teilchenphysik in Österreich nicht jenen Stellenwert hat, wie etwa die Quantenphysik". Dazu ein Zitat aus dem Offenen Brief der Schweizerischen Physikalischen Gesellschaft an den Wissenschaftsminister (13. 5.): "(...) eine Abwägung gegen die "Quantenphysik", mit der Sie in der Presse zitiert werden, ist allerdings grotesk: Teilchenphysik ist Quantenphysik und spielt dort eine Vorreiterrolle".

Ein Großteil der aktuellen physikalischen Forschung hat in der Tat mit Quantenphysik zu tun: von der Atomphysik über die Festkörperphysik, von der Quantenoptik über die Kernphysik bis eben auch zur Teilchenphysik. Weil die Teilchenphysiker kleinste Strukturen auflösen, brauchen sie nach einem unumstößlichen Gesetz der Quantenphysik die größten Mikroskope. Der Beschleunigerring LHC am Cern ist das größte solche Mikroskop. Auch die Proben, die wir unter dieses Mikroskop legen, haben notwendigerweise beachtliche Ausmaße, wie etwa der Detektor CMS, an dem das Institut für Hochenergiephysik der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (HEPHY) maßgeblich beteiligt ist. Es ist wahrscheinlich vergebliche Liebesmüh, aber doch einen Versuch wert: Es wird gebeten, nicht den Teil mit dem Ganzen zu verwechseln.

2. Minister Hahn führte auch "die mangelnde Sichtbarkeit der Teilchenphysik" als Argument für seine Entscheidung an. Nun: In den vergangenen Tagen haben etwa 10.000 Personen aus dem Ausland (etwa ein Drittel der aktuell 30.000 Unterstützungserklärungen) die Petition der Plattform SOS - Save Our Science (http://sos.teilchen.at) unterschrieben, von den mittlerweile 16 Nobelpreisträgern für Physik, aber auch für Medizin und Wirtschaft ganz zu schweigen. So schlecht kann es um die Sichtbarkeit der österreichischen Teilchenphysik also nicht bestellt sein!

3. Besonders bemerkenswert ist aber die Resonanz in der österreichischen Bevölkerung. Offensichtlich sind die derzeit etwa 20.000 inländischen Unterstützer der obigen Petition nicht nur Teilchenphysiker. Bereits am 8. 5. haben die Vorsitzenden der Studienvertretung Physik an der Uni Wien und an der TU Wien in einer Presseaussendung betont, "dass der angekündigte Ausstieg Österreichs aus der Cern-Mitgliedschaft einen riesigen Rückschritt für die österreichische Wissenschaft bedeutet". Wann immer ich in den letzten Tagen Studierende darauf angesprochen habe, ob sie die Petition unterschreiben würden, war die Antwort stets die gleiche: "Das habe ich doch schon längst getan."

Und noch etwas sollte hervorgehoben werden: Der befürchtete "Kannibalismus zwischen den einzelnen Disziplinen" (Kurt Grünewald, Wissenschaftssprecher der Grünen, 7. 5.) ist nicht eingetreten. Unter den Unterzeichnern der Petition finden sich, wie gesagt, nicht nur Physiker verschiedener Fachrichtungen, sondern auch zahlreiche Vertreter anderer Wissenschaftsdisziplinen. Dazu kommt: Die inländischen Unterstützer beschränken sich keineswegs nur auf den akademischen Bereich. - Auch wenn Hahn diese überwältigende Anteilnahme "skurril" findet (ORF-Mittagsjournal, 16. 5.): Für mich ist das ein Lehrbeispiel gelebter direkter Demokratie. Detail am Rande: Eine derartige Aktion ist nur mit dem World Wide Web möglich, das bekanntlich am Cern entwickelt wurde.

Vielleicht wird sich Österreichs Politik künftig darauf einstellen müssen, dass viele Bürger/-innen dieses Landes nicht nur auf Lipizzaner und Sängerknaben, sondern auch auf den Beitrag ihres Landes zur Grundlagenforschung stolz sein wollen. Sollte Faymanns Einspruch neben den eingangs genannten Argumenten auch dieser Erkenntnis geschuldet sein, sollte man ihren Stellenwert nicht zu gering schätzen. (Gerhard Ecker/DER STANDARD, Printausgabe, 19. 5. 2009)