Der EU-Beitritt zwang den Marchfelder Landwirt Wilfried Menzinger zum Umdenken. Heute beliefert er österreichische Supermärkte mit Biogemüse, beschäftigt doppelt so viele Leute wie 1995 und kann der EU-Müdigkeit seiner Landsleute wenig abgewinnen, erzählt er derStandard.at. Ein neuer Teil der Serie "Wir in Europa" – das Interview führt Lukas Kapeller.
derStandard.at: In den Monaten vor Österreichs EU-Beitritt schlug die Landwirtschaftskammer immer wieder Alarm, es werde ein großes Bauernsterben durch den Beitritt geben. Wie war damals die Stimmung?
Menzinger: Die Stimmung in der Landwirtschaft war generell schon eher schlecht. Bei vielen Produkten war Österreich quasi abgeschottet von der EU: bei Kartoffeln, Tomaten und anderem Gemüse. Das ist mit dem EU-Beitritt gefallen: freier Markt, sofort. Da haben sich natürlich alle sehr gefürchtet, wie das ausschauen wird. Die Preise beim Getreide waren zum Beispiel plötzlich halbiert. Es gab aber, um das auszugleichen, die sogenannten degressiven Ausgleichszahlungen (die Bauern erhielten von EU und Bund bis 1999 in Höhe von insgesamt 16 Milliarden Schilling Preisausgleichsgelder, die jedes Jahr weniger wurden, Anm.).
derStandard.at: Als Österreich dann mit Jänner 1995 Mitglied der EU wurde, fassten Sie den Entschluss, auf biologischen Anbau zu setzen.
Menzinger: Die Idee hatte ich eigentlich schon vorher. 1993 begann die Diskussion, wie das laufen wird. Ich habe mir gedacht, ich werde sicher mit meinem Gemüse keine Chance haben gegen Betriebe, die viel größer sind.
derStandard.at: Welche Länder hat man als Bauer damals am meisten fürchten müssen?
Menzinger: Deutschland, Spanien, die Niederlande und auch Italien. „Fürchten" ist aber, glaube ich, das falsche Wort. Man hat halt reagieren müssen, weil ganz klar war, dass wir in der herkömmlichen Landwirtschaft zu klein strukturiert sind, um in der EU wettbewerbsfähig zu sein. Außerdem gibt es klimatische Nachteile. Am Beispiel Kartoffeln: Vor dem EU-Beitritt kamen die Kartoffeln zuerst aus Ägypten, dann aus Sizilien, dann weiter oben aus Italien. Und irgendwann im Juni wurde der Import gesperrt, und es hat nur mehr inländische Kartoffel gegeben, und die waren dann sauteuer. Die italienischen waren viel günstiger, denn die konnten billiger produzieren. Und sie waren meines Erachtens in gewisser Weise besser, weil die schon ausgereifter waren.
derStandard.at: Die EU brachte also eine Änderung Ihrer Unternehmensphilosophie. Mussten Sie auch in den Strukturen und im Personal etwas ändern?
Menzinger: Prinzipiell nicht, nur von der Menge her. Als ich 1995 mit Biogemüse anfing, habe ich immer noch Getreide und Zuckerrüben angebaut, auch Kartoffeln: herkömmliche Produkte, die nicht so arbeitsintensiv sind. Das Getreide habe ich sukzessive bis heute aufgegeben, die Zuckerrüben schon vorher. Heute mache nur mehr Gemüse. Und wenn du statt auf 30 Hektar auf 80 Hektar Gemüse anbaust, brauchst du doppelt so viele Leute.
derStandard.at: Wie viele Mitarbeiter haben Sie jetzt?
Menzinger: Im Sommer durchschnittlich 20. Wir haben vier, fünf ständige Dienstnehmer, die das ganze Jahr beschäftigt sind. Ab März und April nehmen wir dann bis zu 20, 30 Erntehelfer.
derStandard.at: Woher kommen diese?
Menzinger: Sie kommen hauptsächlich aus Polen, aus der Slowakei, ein paar sind auch Rumänen und Bulgaren.
derStandard.at: Wie hat sich die Osterweiterung der Union auf den Betrieb ausgewirkt?
Menzinger: Von meinen Produkten her spüre ich sie im Moment nicht negativ. Bioprodukte werden aus dem Osten noch wenig in den Westen geliefert. Es gibt dort noch nicht so viele Betriebe, die das machen. Positiv für mich ist die Vereinfachung der Verwaltung bei den Arbeitskräften. Ich brauche aber immer noch eine Bewilligung für Arbeitskräfte aus den Oststaaten. Es gibt noch keine Freizügigkeit der Beschäftigung (die österreichische Regierung strebt eine Verlängerung der Beschränkung bis 30. April 2011 an, Anm.). Aus Deutschland oder Italien kommt eben niemand zu mir arbeiten.
derStandard.at: Wie drückt sich diese Vereinfachung aus?
Menzinger: Es hat sich insofern geändert, dass meine Mitarbeiter ohne Visum herfahren können, ohne dass ich sie vorher einladen muss. Als ich anfing in den 80er Jahren, habe ich jedesmal auf die polnische Botschaft fahren müssen und vorher zu einem Notar, wo ich eine beglaubigte Unterschrift leistete, dass er oder sie bei mir arbeitet. Dann konnte der Mitarbeiter nach sechs Wochen einreisen. Das war natürlich ein riesiger Aufwand. Jetzt ist es so: Wenn er heute kommt, dann erteile ich eine Beschäftigungsbewilligung, und er kann morgen arbeiten.
derStandard.at: Wie sieht es generell bei Exporten Ihrer Produkte aus?
Menzinger: Die Exporte waren in meinem Betrieb um das Jahr 2000 am größten. Sie sind in letzter Zeit ein bisschen zurückgegangen. Der Bedarf an Bioprodukten stieg in der EU rasant, und er steigt auch noch weiter. Das Bio-Angebot konnte früher in vielen Ländern mit der Nachfrage nicht Schritt halten. Die Handelsketten in England haben zum Beispiel ab 2001 sehr stark mit Bioprodukten angefangen, sie hatten aber keine inländische Bioproduktion. Als die Engländer das jeden Sommer zukauften, waren wir in Österreich doch ziemlich führend. Von der Menge produzierten wir damals schon mehr, als wir in Österreich absetzen konnten. Großbritannien und auch Deutschland sind als Märkte teilweise weggefallen, weil die Landwirte dort eben auch auf die Bioproduktion aufgesprungen sind.
derStandard.at: Welche Länder beliefern Sie heute?
Menzinger: Derzeit nur Deutschland, aber es gibt keine fixen Abnahmegarantien. Es ist eher so: Wenn zu viel produziert wird, schaust du, ob du das irgendwo sonst in Europa anbringst. Das kann Deutschland oder England sein, wir haben aber auch schon einmal Brokkoli nach Bahrain geflogen.
derStandard.at: Ihr eigener Betrieb profitierte von der Mitgliedschaft in der EU. Wie sehen Sie das Bild der Landwirtschaft insgesamt?
Menzinger: Da fehlt mir ein bisschen der Einblick. Ich glaube aber, dass Betriebe entweder aufgehört oder sich vergrößert und rationalisiert haben. Es ist zumindest nicht so weiter gegangen wie vorher.
derStandard.at: Überwiegen aus Ihrer Sicht die Vorteile?
Menzinger: Ich glaube schon. Aber es kommt drauf an, wen man vergleicht. Wenn ich die jetzige Situation eines großen Bauern mit den 80er Jahren vergleiche, wo es die Importsperre gab, vielleicht nicht. Da hat er gewusst, er produziert seine Zwiebel, ganz egal, ob sie in Holland dreimal so viel haben. Er hat seinen österreichischen Markt, kriegt vier Schilling für die Zwiebel, und alles andere ist ihm wurscht. Das spielt's jetzt nicht mehr. Aber: Auch wenn wir nicht zur EU gegangen wären, wäre es nicht möglich gewesen, sich weiter so abzuschotten, wie wir das gemacht haben. Man hätte sich dem Wettbewerb stellen müssen.
derStandard.at: Wenn ich Sie nicht als Landwirt, sondern als Privatmann frage: Verstehen Sie die EU-Müdigkeit bis hin zu -Gegnerschaft in Österreich.
Menzinger: Nein, also ich versteh's nicht. Für mich als Bürger ist das Positivste die Reisefreiheit. Wir sind früher sehr viel mit den Kindern unterwegs gewesen. Ich sehe das durchaus positiv, mir würden auch keine persönlichen Nachteile durch die EU einfallen. Wenn man so über die Bürokratie schimpft: Die gibt es in Österreich genauso. Es hat auch im Gemüsebereich immer schon Verordnungen gegeben, wie groß, klein, dick oder dünn etwas sein darf. Es ist ein Blödsinn, die viel zitierte Krümmung der Gurke auf die EU zu schieben. (Lukas Kapeller, derStandard.at, 3.6.2009)