Einer stört immer den Familienfrieden.
Wien – Hochzeiten gestalten sich in Spielfilmen gerne als problematisches Familienritual. Eigentlich kommt man aus erfreulichem Anlass zusammen, doch dann gibt es immer einen Provokateur: Er bringt etwas zur Sprache, und dann steigt etwas, das im familiären Keller verborgen lag, wieder an die Oberfläche und sorgt für allgemeine Missstimmung. Auch Jonathan Demmes Rachels Hochzeit / Rachel Getting Married folgt dieser ein wenig absehbaren Dramaturgie (Drehbuch: Jenny Lumet), bringt es aber fertig, vielschichtiger, uneindeutiger und vor allem unkontrollierter zu sein als viele Genrevertreter.
Die Rolle des schwarzen Schafs besetzt Kym (Anne Hathaway), die zu Beginn aus einer Reha-Klinik entlassen wird und gleichsam als erste Probe an der Hochzeit ihrer Schwester Rachel (Rosemarie DeWitt) teilnehmen wird. Ein Härtetest für jede psychisch labile Person, obwohl Kyms liberale Familie einem US-Ideal von Ostküsten-Generosität entspricht. Demme, der aus seiner eigenen Nähe zu den Demokraten kein Geheimnis macht, will aber genau an dieser Schicht demonstrieren, dass es immer die eigenen Narben sind, die man am hartnäckigsten verbirgt. So liegt es an Kym, den Rest der Familie an ein Trauma zu erinnern, das die Beziehungen nachhaltig mitbestimmt hat. Mit fahrigen Gesten und eigensinnigem Verhalten verändert sie das harmonische Klima im Haus, bringt die Hochzeitsvorbereitungen aus dem Lot.
Demmes Kunst besteht darin, für den innerfamiliären psychosozialen Schlagabtausch ein Ambiente zu schaffen, das diesem auf den ersten Blick gar nicht entspricht. Ständig probt und spielt jemand Musik – darunter der britische Songwriter Robyn Hitchcock; die Hochzeit fusioniert Elemente westlicher und östlicher Kulturen; die Gäste geben die ethnische Bandbreite des gegenwärtigen US-Bürgertums wieder. Dass Rachels Zukünftiger (Tunde Adebimpe) Afroamerikaner ist, wird mit größter Selbstverständlichkeit inszeniert.
Duell am Geschirrspüler
Bezeichnend ist denn auch, was alles nicht zum Thema wird, ansonsten aber gerne als sozialkritisch gilt. Demme durchbricht Stereotype, indem er Probleme in die weiße Mittelschichtfamilie verlegt und eine multikulturelle Teufelsaustreibung praktiziert, die beim Duell im Geschirrspülereinräumen ihren definitiven Höhepunkt erlebt. Die wendige Kamera von Declan Quinn durchwandert das Haus wie einen lebendigen Ort, an dem ständig unterschiedliche Dinge zugleich passieren.
Das trägt viel zum Vergnügen an Rachels Hochzeit bei, der weniger ein Drama vorführt als an einem Familienmodell teilhaben lässt und den Darstellern viel Platz gibt, um ihre Rollen auszufüllen: Hathaway zeigt eindrucksvoll, dass sie mehr kann als höhere Töchter zu spielen; ihr Streit mit DeWitt, in dem um die Anerkennung der Elternteile gebuhlt wird, liefert die aufrichtigsten Bekenntnisse dieses Hochzeitstags. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 20.05.2009)
Ab 20. 5.